Der Tod – anonym und ohne Überreste

■ Immer weniger Deutsche lassen sich im Sarg beerdigen. Sie ziehen die Feuerbestattung und eine Urne im Sammelgrab vor

Berlin (taz) – Ich war für euch Luft, jetzt bin ich es für euch – nach diesem Motto handeln immer mehr Deutsche beim Gedanken an den Tod. Wer sich am Lebensabend einsam fühlt, verwischt für die Hinterbliebenen nach seinem Tod gerne seine Spur. Anonym und ohne sterbliche Überreste unter der Erde verschwinden – dahin geht der Beerdigungstrend in Deutschland. Fast 40 Prozent der im vergangenen Jahr verstorbenen Menschen wollten eingeäschert und nicht auf die „klassische Art“ im Sarg beigesetzt werden, fünf Prozent mehr als 1995. Dies fand der Deutsche Städtetag in Köln in seiner diesjährigen Umfrage unter den Kommunen heraus. Ein Drittel der Feuerbestattungen erfolge zudem anonym in einem Sammelgrab, schätzt der Bundesverband des Deutschen Bestattungswesens in Düsseldorf.

Vor allem in Großstädten wie Frankfurt, München, Hamburg, Stuttgart und Berlin sind Särge out. Hier läßt sich inzwischen jeder zweite einäschern. Und in den ostdeutschen Städten Leipzig, Jena, Schwerin oder Dresden machen die Sargbestattungen jetzt nur noch ein Drittel aus. Spitzenreiter bei den Einäscherungen ist die thüringische Stadt Sonneberg (98 Prozent), gefolgt von Pößneck und Forst mit einer Quote von rund 97 Prozent.

Bei steigender Arbeitslosigkeit und Abgabenlast sind Feuerbestattungen für immer mehr Menschen eine reine Kostenfrage. Eine Urne kostet zumeist nur halb soviel wie ein Sarg. Zudem müssen die Hinterbliebenen eine Metallurne nicht wie ein Grab regelmäßig pflegen und mit Blumen verschönern. „Dies wollen viele ihren Verwandten nicht zumuten“, sagt Jürgen Bethke vom Bundesverband des Deutschen Bestattungswesens.

Auch die Beerdigungszeremonie fällt bei einer anonymen Bestattung spärlich aus. „Einen Gottesdienst mit Pastor gibt es in diesem Fall nicht“, sagt Thomas Hirsch, Gottesdienstbeauftragter der Nordelbischen Kirche in Hamburg. Vom Krematorium gehe die Urne direkt per Lastwagen zum Sammelgrab auf dem Friedhof. „Dazu werden nur ein paar Friedhofsarbeiter benötigt, die die Urne ins Massengrab tragen. Die müssen nicht einmal einen Anzug tragen.“

Neben den Kosten macht Hirsch für den Trend zur anonymen Bestattung auch soziale Gründe aus. Wer ohne Namensschild unter die Erde wolle, habe sich in der Regel in der Gesellschaft vereinsamt und ausgegrenzt gefühlt. Etwa ein Drittel wolle den Verwandten mit einer anonymen Bestattung einen deutlichen Denkzettel erteilen: „Die zahlen damit ihren Hinterbliebenen die mangelnde Fürsorge in den vergangenen Jahren heim“, sagt Hirsch.

Ein Phänomen, das vor allem in Großstädten beobachtet werden kann. Beispiel Niedersachsen: Während sich in der Landeshauptstadt Hannover jeder zweite für die Feuerbestattung entscheidet, ist es in Osnabrück nur noch jeder vierte. Einige Städte versuchen bereits, mit der Kostenschraube gegen den Trend zur anonymen Einäscherung zu steuern. Im norddeutschen Flensburg mit einer Einäscherungsquote von rund 82 Prozent sind beispielsweise anonyme Bestattungen nach Auskunft der Stadtverwaltung inzwischen fast so teuer wie Sarggräber. Der Grund: Wer in einem der extra angelegten Sammelgräber bestattet werden wolle, müsse seinen Anteil an Pflege und Unterhalt im voraus entrichten.

Für die Nachwelt ist der anonym Bestattete in der Regel nicht mehr auffindbar – was viele Angehörige nicht akzeptieren wollen. „Häufig wollen die Hinterbliebenen den Verstorbenen noch nachträglich in einem Einzelgrab beisetzen“, sagt Wolfgang Haser, Leiter des Friedhofsamtes der Stadt München. Dies gehe jedoch nicht. „Wir können nicht ein Sammelgrab von der Größe eines Fußballfeldes ausheben, um nach einer einzigen Urne zu suchen.“ Man könne den Angehörigen nur mitteilen, unter welcher Wiese sich die Urne befinde. Und wer selbst dies verhindern möchte, sollte sich für die noch anonymere Seebestattung entscheiden. Dafür muß man allerdings eine „besondere Verbundenheit zum Meer“ nachweisen – etwa als Kapitän oder Matrose. Ulf Laessing