5 Angeklagte, 16 Nebenkläger, 23 Anwälte

Der Prozeß wegen des Sprengstoffanschlags auf die Berliner Diskothek „La Belle“ 1986 ist ein Verfahren der Superlative. Gleich zum Auftakt stellt Christian Ströbele, einer der Verteidiger, einen Befangenheitsantrag  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Für Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis steht die Welt auf dem Kopf. Es sei für ihn schon „eine Premiere, zu hören, daß da nicht genug verhaftet worden ist“. Elfeinhalb Jahre nach dem Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ wehrt sich der Ankläger beim Prozeßauftakt gegen den Vorwurf, er könnte seinem Hauptbelastungszeugen, dem Libyer Musbah Eter, einen unzulässigen Strafnachlaß in Aussicht gestellt haben.

Eter sitzt hinter Panzerglas auf der linken Seite des Verhandlungssaales im Moabiter Kriminalgericht. Der 40jährige wird der Beihilfe zu dem Anschlag vom 5. April 1986 beschuldigt, bei dem eine junge Frau und zwei in Berlin stationierte US-Soldaten ums Leben kamen. Ihm zur Seite hat die 39. Große Strafkammer den deutschen Staatsbürger Ali Chanaa (38) gesetzt, der wie sein Gegenüber auf der anderen Seite des Saales, der staatenlose Palästinenser Yasser Chraidi (38), als Haupttäter des angeblich von Libyen befohlenen Attentats gilt; deshalb ist er wegen Mordes angeklagt. Den beiden Frauen auf der Anklagebank wird Beihilfe vorgeworfen. Verena Chanaa (38) und Andrea Häußler (32) sollen den Sprengstoff in die Diskothek gebracht haben.

Die Differenz zwischen Beihilfe und Mittäterschaft ist es, die Chraidis Rechtsanwalt Christian Ströbele nachdrücklich moniert. Ströbeles Mandant sitzt nunmehr seit dreieinhalb Jahren in Untersuchungshaft, Musbah Eter dagegen durfte nach seinen Aussagen vor Staatsanwälten unter Polizeischutz in Freiheit verweilen – bis er sich dieser entzog, nach Italien flüchtete und erst vor wenigen Wochen in Rom verhaftet wurde. Eter gibt an, den anderen Angeklagten nur die schriftliche Anleitung zum Zusammenbau der Bombe übergeben zu haben, mehr nicht. Dem haben die anderen Beschuldigten in ihren Vernehmungen widersprochen.

Eter, sagt etwa der Beschuldigte Ali Chanaa, habe die Bombe selbst zusammengesetzt, er habe auch die Angeklagte Verena Chanaa in deren Bedienung eingewiesen. Rechtsanwalt Ströbele gibt einen juristischen Dreisatz zu Protokoll: Wenn für seinen Mandanten der dringende Verdacht der Mittäterschaft gelte, warum dann nicht für Eter? Der hätte ebenso wegen Mordverdacht verhaftet und angeklagt werden müssen. Und daß das Gericht dann den weitaus weniger schwerwiegenden Tatvorwurf in der Anklageschrift akzeptierte, lasse die Sorge begründet erscheinen, das Gericht habe sich bereits „einseitig festgelegt“. Ströbele stellt deshalb einen Befangenheitsantrag. Für ihn wird hier „in der Sache eine Kronzeugenregelung geschaffen, die es so in der Strafprozeßordnung nicht gibt“. Chraidi drohe lebenslänglich, Eter vier bis sieben Jahren Haft. Der Kritik Ströbeles schließen sich weitere Verteidiger an, den Antrag auf Befangenheit unterschreiben wollen sie aber nicht.

Mit dem Antrag endet der erste Tag des Prozesses, der nach den Worten des Kammervorsitzenden Marhofer „einer der bedeutendsten der jüngeren Berliner Justizgeschichte“ werden wird. Ein Superlativ wird das Verfahren allemal: Den fünf Angklagten stehen drei Dolmetscher zur Seite, 16 Nebenkläger und 23 Rechtsanwälte quälen sich auf engem Raum. 68 Zeugen sind bisher geladen, allein die Hauptakten umfassen 91 Bände. Zur besseren Übersicht sind vor Anwälten und Nebenklagevertretern handgeschriebene Namensschilder aufgestellt, Sicherheitsstufe eins ist angeordnet.

Staatsanwalt Mehlis sagt den Reportern, er sei schon zufrieden, wenn der Prozeß nach zwei Jahren ende. Ströbeles Antrag nennt er „rechtlich zulässig, aber völlig unbegründet“. Am Dienstag entscheidet eine andere Kammer des Landgerichts über eine mögliche Befangenheit.