Die klare Handschrift militanter Islamisten

■ Seit fünf Jahren führt die Islamische Gruppe Krieg. Doch die Bewegung ist wesentlich älter

Das Bekennerschreiben kam per Fax. Gestern erhielten mehrere Nachrichtenagenturen in Kairo ein Schreiben, in dem sich die Gamaa al-Islamia, die Islamische Gruppe, zu dem Massaker bekannten. Zu der Schießerei sei es bei dem Versuch gekommen, eine Gruppe von Urlaubern zu entführen. Mit ihrer Hilfe habe der Chef der Gruppe, der in den USA inhaftiert Omar Abderrahman, freigepreßt werden sollen. Bis gestern abend war nicht klar, ob der Brief authentisch ist. Die Schilderungen von Augenzeugen des Massakers deuten nicht auf einen Entführungsversuch. Nach ihren Berichten wurden zahlreiche Opfer mit Kopfschüssen und Messerstichen regelrecht exekutiert. Doch sicher ist: Das Attentat trägt die klare Handschrift militanter Islamisten.

Vor dem Auftauchen des Schreibens hatte gestern eine andere islamistische Gruppierung, die „Avantgarde der islamischen Eroberung“, in einem Brief den Anschlag gutgeheißen und angekündigt, ähnliche Attentate würden folgen, solange der ägyptische Staat Mitglieder der Islamischen Gruppe foltere und töte. Eine weitere islamistische Organisation, Gihad Islami (Islamischer heiliger Krieg), drohte gestern ebenfalls mit weiteren Anschlägen.

Ägyptische Islamisten führen seit fast sechs Jahren einen Kleinkrieg gegen die Regierung. Bisher starben dabei über 1.100 Menschen, meist Polizisten und Islamisten, aber auch Politiker, Angehörige der christlichen Minderheit der Kopten und Ausländer. Die Geschichte der Islamisten ist weit älter als der blutige Konflikt. Seit den zwanziger Jahren argumentieren die ägyptischen Muslimbrüder, daß die Religion nicht von der Politik zu trennen sei und plädieren für die Einführung des islamischen Rechts. Der legendäre Präsident und arabische Nationalist Gamal Abdel Nasser ließ sie in den 60er Jahren gnadenlos verfolgen und kurzerhand ins Gefängnis sperren. Dort radikalisierten sich viele von ihnen.

Kurz nach ihrer Freilassung Anfang der 70er Jahre durch den Nachfolger Nassers, Anwar al-Sadat, spalteten sich die Islamisten: Ein moderaterer Flügel wollte weiterhin unter dem Namen Muslimbrüder am politischen Leben teilnehmen und propagierte eine islamische Variante des Marsches durch die Institutionen. Der radikalere Flügel will die angeblich unislamische Gesellschaft mit allen Mitteln bekämpfen.

Sadat glaubte zunächst, mit den radikalen Islamisten ein willfähriges Instrument in der Hand zu halten, um die vor allem an den Universitäten starke Linke auszuschalten. Doch bald gerieten die Islamisten außer Kontrolle ihres Mentors, und am Ende wurde Sadat selbst zu ihrem Opfer: 1981 starb er durch die Kugeln militanter Islamisten.

Die Abspaltungen der Militanten sind inzwischen zahlreich, Gamaa al-Islamia, Gihad oder Avantgarde der Eroberung nennen sie sich. Gemeinsam sind ihnen eine ultrakonservative Moralvorstellung und die Militanz. Sie alle fordern die Einführung des islamischen Rechts und die Gründung eines islamischen Staates, wenngleich nur vage Vorstellungen darüber existieren, wie ein solcher konkret auszusehen hat.

Um den ägyptischen Staat an seiner Achillesferse zu treffen, seine Einnahmen aus dem Tourismus, wurden in den letzten Jahren mehrfach Ausländer zur Zielscheibe. Diese Strategie ist allerdings unter den Islamisten äußerst umstritten. Denn in einem Land, in dem jeder neunte Arbeitsplatz vom Tourismus abhängt, schafft man sich mit Anschlägen auf Urlauber wenig Freunde. Das hat auch die im Gefängnis sitzende Führung der Gamaa al-Islamia erkannt. Im Juni erklärte sie, Ägyptenreisende hätten nichts zu befürchten. Jede Aggression gegen Touristen würde künftig als Aggression gegen die eigene Führung verstanden.

Doch dieser Ruf wurde nicht von allen militanten Fraktionen aufgenommen. Inzwischen sind die Militanten in zahlreiche Untergruppen aufgesplittert, die kaum noch von der eigenen Führung zu kontrollieren sind. Ein Ergebnis nicht zuletzt der brutalen Repression durch die ägyptischen Sicherheitskräfte, der inzwischen die meisten strategischen Köpfe der Gruppen zum Opfer gefallen sind. Wer eine Verhaftung überlebt, wird in Schnellverfahren vor Militärgerichten verurteilt. Über achtzig Mal haben diese in den letzten fünf Jahren die Todesstrafe ausgesprochen.

Auch nach dem jetzigen Massaker in Luxor wird es wieder Massenverhaftungen und Massenprozesse geben. Gerade müssen sich vor einem Militärgericht in Kairo 65 angebliche Mitglieder der Gamaa al-Islamia verantworten. Alle Versuche, zwischen der Regierung und den Islamisten zu vermitteln, sind bisher gescheitert. Vor wenigen Monaten unterbreitete die Führung der Gamaa al-Islamia der ägyptischen Regierung aus dem Gefängnis ein Waffenstillstandsangebot. Doch zuerst winkte der ägyptischen Innenminister ab, dann auch die Exilführung der Gruppe. „Die Regierung hat abgelehnt. Jetzt ist die Initiative eingefroren“, erklärte einer der Verteidiger der Islamisten im derzeitigen Massenprozeß.

In der derzeitigen Situation sind zwei Szenarien denkbar: Entweder die ägyptische Regierung antwortet mit noch mehr Repression und noch mehr Polizei und die militanten Islamisten fühlen sich stark genug, den Staat durch weitere blutige Attentate herauszufordern. Die Folge wäre eine weitere Eskalation. Oder aber beide Seite merken, daß der Konflikt nicht militärisch zu gewinnen ist. Wahrscheinlicher ist die erste Variante. Karim El-Gawhary, Kairo