Kein Denkmal für Oskar

■ Nobody's Business zeigt den Ödipus-Komplex als Sportereignis und Alan Berliner im Boxring mit seinem Vater Oskar

Die Uhr tickt laut. Bei jedem Sekundenschlag wechselt das Bild. Tack – Portrait vom Urgroßvater, tack – Elternhochzeit, tack - planschende Tochter. Alan Berliner legt in seinem Dokumentarfilm Nobody's Business seinem Vater Oskar Familienfotos und Archivmaterial über die Berliners aus fünf Generationen vor, um aus ihm Erinnerungen hervorzulocken. Seine Herkunft ist verworren: Die Berliners sind eine jüdisch-amerikanische Familie polnisch-russischer, vielleicht auch deutscher Provenienz. Sie teilt das Schicksal der Diaspora mit zahlreichen anderen jüdischen Familien.

Kafka rechnete mit seinem Vater in einem literarischen Brief ab, ohne ihn jemals abzuschicken. Der Filmemacher Alan Berliner wendet sich im Gegensatz dazu direkt an seinen Erzeuger, um ihm vor laufender Kamera die Fragen zu stellen, die er ihm immer schon mal stellen wollte. Dabei will er nicht nur die Familiengeschichte erhellen, sondern darüber hinaus dem sperrigen Mann ein Denkmal seiner Zuneigung setzen. Das klingt sentimental, ist es auch und könnte zu einem peinlichen Unterfangen werden, wenn da nicht der Protagonist wäre, der das romantische Harmoniebedürfnis des Sohnes radikal unterläuft.

Oskar Berliner ist das, was man gerne ein Original nennt. Von Anfang an gibt er zu verstehen, daß er sich als Filmsujet für unergiebig hält. „Ich habe ein normales Leben geführt. Ich war beim Militär, habe geheiratet und die Familie ernährt. Das war's, kein Stoff für einen Film.“Aber Alan bleibt hartnäckig, fragt ihn nach den Lebensumständen der Vorgänger-Generation und nach den Opfern des Holocaust. Auf die meisten Fragen bleibt Oskar die Antwort schuldig. Er kennt das Geburtsdatum seiner Eltern nicht. Er weiß nicht, wer von der Familie in den Konzentrationslagern umgekommen ist. Und vor allem: Er sieht auch nicht ein, warum ihn das alles interessieren muß. Alan Berliner erzürnt sich über die väterliche Gleichgültigkeit. In solchen Momenten überblendet der Regisseur das Gespräch mit Szenen aus einem Boxkampf. Der Ödipus-Komplex als Sportereignis.

Am Ende gibt es keinen Sieger. Der Vater bleibt dabei, daß er sich und den Film für bedeutungslos hält. Er sagt dies ohne Larmoyanz und Selbstmitleid. Der Film widerspricht ihm. Widerlegen kann er ihn nicht. Joachim Dicks

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