Ein mit den Ohren gesehener Apostel

■ Surreales Leuchten: „Max Liebermann – Der Realist und die Phantasie“, eine Ausstellung in der Kunsthalle

Ein Ehrentempel ist Max Liebermann in der Kuppel aufgebaut, mit Büste, Lebenslauf, Dokumentationsfotos und den Bildern der Zeitgenossen wie Menzel, Uhde oder Leibl drumherum. Für die Ausstellung Der Realist und die Phantasie in der Hamburger Kunsthalle wurde daran anschließend der ganze Flügel der „neueren Meister“dem Berliner Künstler eingeräumt.

Was macht den 1847 geborenen Maler-Grandsergneur heute interessant? Das leuchtende Gelb des Tresens im „Schlachterladen zu Dordrecht“von 1877 oder das surreale Leuchten der kleinen Landschaft „Heuernte in Tirol“von 1878 vermögen unmittelbar zu beeindrucken, aber mehr noch das historische Wissen um einen Künstler, der der Moderne in Deutschland zum Durchbruch verholfen hat, ohne selbst zu den großen Kunst-Revolutionären zu gehören.

Der Background für den gutbürgerlichen Augenschmaus von 143 Bildern ist die erstaunliche Geschichte, wie ein Maler aus großbürgerlichem Hause einen pastosen Naturalismus und später seine eigene Form von Impressionismus gegen harte Widerstände durchsetzte, bis er zum hochgeehrten Akademiepräsidenten aufstieg. Doch das ist keine ungebrochene Erfolgsgeschichte: Nach 1933 wurde Liebermann erneut verfehmt und starb wenig beachtet 1935.

Die den Arbeiten bis 1900 gewidmete Ausstellung wurde in Hamburg zusammengestellt. Hier befindet sich heute die zweitgrößte Museumssammlung von Liebermanns Werk, hier erfuhr dessen Entwicklung von Beginn an entscheidende Wendungen. In Hamburg testet der 25-jährige Kunststudent die Kritik auf sein erstes großes Bild „Die Gänserupferinnen“. Jetzt ist das trotz harscher Verrisse erfolgreiche Genre-Bild erstmals seit 1872 wieder hier zu sehen.

Das Hamburger Bild „Die Netzflickerinnen“kauft Kunsthallen-Direktor Lichtwark 1889 auf Empfehlung seines Berliner Kollegen Arnold Bode von der Pariser Weltausstellung geradezu als Schnäppchen für nur 970 Goldmark, trägt aber in das Inventarbuch 18 000 Mark ein, um dem Künstler nicht zu schaden. Auch Liebermanns erster Porträtauftrag ist mit Hamburg verbunden: Auf Vermittlung von Lichtwark malt Liebermann 1891 das Ganzporträt von Bürgermeister Petersen in individueller Würde, aber vermeidet die Typik staatlicher Repräsentation. Das löste einen Skandal aus, und das Bild mußte bis 1905 hinter einem Vorhang verborgen werden.

Die Macht damaliger Kunstkritik läßt sich an Liebermanns Werk besonders gut studieren. Ihrer heute kaum vorstellbar bestimmenden Rolle widmet auch der edle Katalog der Ausstellung immerhin fünfzehn Seiten. Die Kritiker ernannten Liebermann zum „Apostel der Häßlichkeit“und fragten, „...sind Menschen erst dann der Darstellung durch Künstlerhand würdig, wenn sie mit der Gosse in Berührung gekommen sind?“. Seine Palette galt als „schwer und schmutzig“, seine Themen wurden als „socialdemokratisch“beschimpft und seine Orientierung an französischen Künstlern wie Courbet galt sowieso fast als landesverräterisch. Das thematische Bild „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“löste 1879 gar eine Debatte im Bayrischen Landtag aus: Die Darstellung des „rothharigen Israelitenknaben im Kreise der Rabbinen“wirkte als blasphemisch, da viel „zu jüdisch“.

Solche heute unglaublichen Kriterien taugen immerhin dazu, sich klar zu werden, wie sehr sich unser Blick auf die Kunst verändert hat. Liebermann selbst fand über Kunstkritik generell die schöne Formulierung: „In Deutschland, wo die Bilder meistentheils mit den Ohren gesehen werden und wo nur die gedruckte Columne „Eindruck“macht, bedarf die Malerei immer noch der gedruckten Erläuterung und daß Bilder mit den Augen zu genießen sind, scheint eine ziemlich unbekannte Thatsache.“Mehr als Worte kann auch der heutige Kritiker nicht anbieten, zum Gucken dann bitte in die Kunsthalle.

Hajo Schiff

bis 25. Januar, danach im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt und dem Museum der bildenden Künste Leipzig.

Katalog im Verlag Dölling und Galitz, 272 Seiten, Hardcover, 38 Mark