Standortpolitik und Arbeitstherapie

Rot-Grün bringt keine Bewegung auf den Hamburger Arbeitsmarkt  ■ Von Florian Marten

Kann Hamburg aus eigener Kraft eine Wende auf dem stadtstaatlichen Arbeitsmarkt herbeiführen? Die Gewerkschaften sagen Ja! Sie fordern ein Offensivprogramm „Tariflohn statt Sozialhilfe“, um damit 10.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein kombiniertes Programm aus Wirtschafts-, Umwelt- und Anti-Armutspolitik, mit dem einige GALierInnen den Einstieg in eine ökologische Arbeitsmarktpolitik erreichen wollten, sah ebenfalls 10.000 neue Arbeitsplätze innerhalb von vier Jahren vor.

Im rot-grünen Regierungsprogramm spielen beide Ansätze jedoch keine Rolle. Statt dessen enthalten die Koalitionsvereinbarungen eine Fortführung der bisherigen Mischung aus Standort-, Innovations- und Arbeitsmarktpolitik. „Mit diesem Ergebnis hätte selbst Henning Voscherau leben können“, meint ein Spitzensozi, der darauf verweist, daß selbst die SPD-Rechtsausleger Günter Elste, Elisabeth Kiausch und Ingo Kleist mittlerweile auf Rot-Grün schwören.

Während die Hamburger Handelskammer und Wirtschaftsverbände die Fortführung der Standortpolitik loben, hagelt es Kritik von ArbeitsmarktexpertInnen. Norbert Hackbusch, Wirtschaftsexperte der GAL und Kopf des linken Flügels bei den Grünen, zeigt Verständnis: Es gebe zwar Chancen für Modernisierungen im Hafen und ein ganzes Vorschlagsbündel für eine bessere Förderung von Kleinbetrieben, deren Realisierung hänge aber fast vollständig vom Gestaltungswillen der SPD-SenatorInnen Thomas Mirow (Wirtschaft) und Helgrit Fischer-Menzel (Arbeit & Soziales) ab.

Fest vereinbart, so Hackbusch, sei auch das von der SPD „mit Gewalt durchgesetzte Billigprogramm“: Mit einem neuen Niedriglohnsektor für Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren soll es möglich werden, bis zu 2.000 Problemjugendliche in Arbeit zu bringen. Gedacht ist dabei vor allem an einfache Arbeit, etwa als Platzwart bei einem Sportverein. Hackbusch denunziert dieses Programm als „schlichte Tonnenideologie“.

Empört sind auch die Gewerkschaften. Hier, so kritisiert der stellvertretende ÖTV-Bezirkschef Wolfgang Rose, solle mit einem radikalen Tarifdumping für Jugendliche das deutsche Tarifvertragssystem in Frage gestellt werden. Rose: „Ein Tarifabschluß in Richtung der von der SPD vorgeschlagenen 1000 Mark statt der bisherigen 2.350 Mark ist für uns nicht denkbar.“

Völlig unverständlich ist für die Gewerkschaften, warum statt dessen nicht ihr Programm „Tariflohn statt Sozialhilfe“angepackt wurde. Das Konzept der Gewerkschaften sah Freiwilligkeit, Tariflöhne und eine konkrete Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen in den Stadtteilen vor. In Kombination mit dem Armutsbekämpfungsprogramm hätte dieses Programm, so schwärmt Rose, „die Grundlage für eine spürbare Ausweitung und Neuausrichtung des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors“sein können.

Umsonst wäre das Ganze natürlich nicht gewesen: Aufgrund der zusätzlichen Lohnzahlungen hätte die Stadtkasse zunächst rund 40 Millionen Mark investieren müssen. Nach fünf Jahren aber sollte dann, dank eingesparter Sozialhilfe, ein Gesamtgewinn von zwölf Millionen Mark in den Hamburger Haushalt fließen. Die entsprechenden Berechnungen stammen von Detlef Scheele, der als Geschäftsführer der zentralen städtischen Beschäftigungsgesellschaften eine Schlüsselrolle in der städtischen Arbeitsmarktpolitik spielt und zu den Parteifreunden von Bürgermeister Ortwin Runde zählt.

Scheeles Rechnung, die sich an ähnlichen Programmen in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein orientiert, wurde von Gewerkschaften und unabhängigen Experten überprüft und für gut befunden. Auch die bezirklichen freien Beschäftigungsträger stehen hinter dem Gewerkschaftsvorschlag. Obwohl der Umfang von 10.000 neuen Stellen „recht ehrgeizig“sei, so Johannes Jörn, Geschäftsführer des Harburger Beschäftigungsträgers Gate, sei das Projekt „von den Trägern zu bewältigen.“

Ortwin Runde jedoch lehnte die Modellrechnungen zum Beschäftigungsprogramm der Gewerkschaften kategorisch ab: „Ich glaube solchen Rechnungen nicht.“Statt dessen darf Rundes Parteigenosse Scheele nun die staatlichen Beschäftigungsgesellschaften Hamburg West und HAB fusionieren. Die dadurch erhofften Einsparungen sollen zusammen mit den angepeilten Tariflohnsenkungen für Jugendliche die versprochenen 2.000 Sonderarbeitsplätze bringen.

Statt dieses Programm mit dem Know How der quartiersnahen bezirklichen Trägern umzusetzen, soll die „Agentur“zur Vermittlung von Problemjugendlichen bei Scheele angesiedelt bleiben. Das mache zwar beschäftigungspolitisch wenig Sinn, so erläutert eine Insiderin, „sorgt aber dafür, daß der SPD-Filz die fast alleinige Kontrolle über dieses expansionsfähige Feld der Arbeitsmarktpolitik behält.“