„Meisterschale glänzt noch“

■ 2:1 – Endlich ein Werder-Tor nach 501 Minuten Von Gastautor Wolfgang Rumpf

Eine Autofahrt zum Weserstadion – gedanklich geläutert durch massive Abstiegsphantasien und pausenlose SV-Endzeitformulierungen, gequält von 465 torlosen Minuten, malträtiert von Rudi Assauers UEFA-Cup-Grinsen im Zigarrenqualm und Andi Herzogs skeptischen Äußerungen im Vorfeld der Begegnung Werder/Schalke. Auf dem Rücksitz zwei aufgeregte elfjährige Fans in vollem Werder-Ornat, die am nächsten Morgen einen Mathetest zu absolvieren haben. Wie selbstverständlich verabscheuen die treuen Seelen den luxuriösen Sitzplatz auf der Pressetribüne, um stattdessen den trötenden Dampf im grün-weißen Getümmel der Ostkurve zu favorisieren. Schnell das Auto irgendwo in einer dunklen Seitenstraße geparkt, Fahnen und Tröte entladen und im eiskalten Stadion Position bezogen, bevor die Fußballshow beginnen: „Wie im Fernsehen“, meinen die Jungs, der Ansager von Fan-TV auf der Leinwand, ein paar kläffende Schäferhunde auf der Tartanbahn, sternenklar-grüne Becks-Werbung und kleine Monitore überall. Die Trommler auf der Empore stimmten aufs spätmittelalterliche Ritual des Kräftemessens ein - das Spiel begann - und was für eins: Dynamisches Auf und Ab, Zweikämpfe, weite, hohe Bälle, Fouls, gemeine Schiedsrichterentscheidungen und Herr Assauer, der mitten im Spiel auf dem Rasen herumläuft. Es fallen sogar Tore für Werder direkt vor unserer Nase. Schön herausgespielt über den rechten Flügel köpft der ausgesprochen fleißige und gleichzeitig abwehrstarke Marco Bode ins Tor, und nachdem der in der Kälte festgefrorene Schalke-Schlußmann Lehmann am Ball vorbeigeflogen ist, trifft Hany Ramzy kurz darauf ein zweites Mal. Auf der anderen Seite fällt zwar bei Oliver Reck auch ein Ball ins Netz, aber das ist gottlob weit weg und nahezu unsichtbar. Halbzeit, zurück zur Werbung. Die medialen Clowns übernehmen die Regie: Ein privates „Hitradio“präsentiert die Weltlage, die aus Terror in Ägypten, Irak-Krise und dem Werder-Halbzeitstand besteht, vor dem Ostkurven-Publikum tanzen die Original Deutschmacher (als Flo und Baiano getarnt) mit rosa Plastikgitarren herum und intonieren ihren neuesten SV-Werder-Song mit dem schönen Vers: „Die Meisterschale glänzt noch.“Die Jungs sind begeistert und wollen sich das Arnie & Bert-Gesamtwerk zu Weihnachten wünschen. In der Tat, die Schale glänzt noch: 26.700 Zuschauer, die die norwegischen Temperaturen mit Bremer Bier und EU-Glühwein bekämpfen, sehen auch in der zweiten Hälfte ein eher besseres Bundesligaspiel (ungeschnitten) mit Torszenen auf beiden Seiten. Labbadia (auch für ihn ein Fleißkärtchen) ballert mal in den Nachthimmel, Olli schlägt über den Ball, die East-Side-Werdermenge brüllt bei blauen Angriffen „Ihr seid Scheiße“, und mal schreit einer im Bode-Trikot „Sieg“und reckt beide Arme nach vorne. Kann man aber heute gerade noch verkraften. In den letzten zehn Minuten bibbern die Jungs - vor Kälte und vor Angst vor dem 2:2. Da begleitet aber Werder das Glück, so daß das Bremer Publikum nach 90 Minuten schnell und frohgemut das Stadion verlassen kann. Ein mißmutiger Schalke-Fan mit Nemec-Trikot rempelt sich durch die grün-weiße Masse, die Jungs stochern sich mit ihren Fahnen den Weg. Daß das Auto (inklusive einer Werderfahne) dem Abschleppdienst der Steintorpolizei zum Opfer fiel, regte uns nicht wirklich auf. Im Radio im stillen Taxi Interviews mit Sidka, Labbadia, Wicky, Todt und noch eine gute Nachricht: der elfte Tabellenplatz. Die Jungs dösen hinten, bereiten sich offenbar mental auf den Mathetest vor (oder auch nicht), das Taxi kriecht durch den Stau am Osterdeich, die Heizung surrt, die Ohren werden warm: Auto weg, Portemonnaie unnötig strapaziert, müde und durchgefroren, aber Werder hat gepunktet – ein einfach wundervoller Abend.

(Wolfgang Rumpf ist Redakteur- Moderator bei Radio Bremen 2)