■ Normalzeit
: Kunst am Bau

Dorothee (mit Sony-Digital- Cam) und ich machten uns auf zum Bundestagsabgeordneten Hartmann, dem auf Veranlaßung des Bundeskriminalamts (BKA) gerade hieb- und stichfeste Fenster und Türen sowie ein nahezu explosionssicherer Briefkasten eingebaut worden waren. Jedem Mitglied des Bundestags (MdB) steht so etwas zu. Wir wollten daraus – im Selbstauftrag der neuen Ostkino-Wochenschau „Progressor“ – einen Werbespot für Hartmanns Wiederwahl machen.

Zehnmal hatte man ihm bereits seinen Trabant auf dem Parkplatz vorm Haus beschädigt und zweimal einen Brandanschlag auf sein Büro in Treptow verübt. Die Bonner Handwerker verbauten für 32.000 Mark-West „Sicherheitstechnik“; hinterließen jedoch eine wilde Baustelle. Hartmann versuchte, zur Wiederherstellung der Wohnbarkeit weitere 4.000 Mark Maurerkosten vom Bundestag bewilligt zu bekommen. Wir filmten ihn dabei. Anschließend schrieb ich eine „Normalzeit“.

Gleich nach Erscheinen rief die Bild-Zeitung an: Ob die Geschichte mit Hartmann stimme, wollte der stramm antikommunistische Redakteur wissen. Wenn es ihm gelänge, daraus eine neue Geschichte zu basteln, würde er mich dafür zum Essen ins taz-Restaurant einladen. Die taz-Redakteurin Dorothee betrachtete meine Springerpresse-Verhandlung bereits mit kritischem Blick vom Nebentisch aus. Dann passierte erst mal gar nichts. Hartmann verzichtete im September zugunsten von Lothar Bisky auf eine erneute Kandidatur, Anfang Oktober fuhr er mit einer Bundestagsgruppe nach Mexiko.

Vorher bekam er noch einen Anruf vom Bild-Redakteur. Dann erschien auch der Bild-Artikel: „Panzerglas für PDS-Politiker auf Steuerzahler-Kosten“ – und das, obwohl Hartmann gar nicht mehr kandidieren wolle, sich also nur noch schnell alles nehme, was zu kriegen sei. Und um das Maß an Unverschämtheit vollzumachen, „jettete er am Wochenende“ auch noch auf Kosten des Steuerzahlers nach Mexiko. Die PDS-Häme erschien in mehreren Bild-Regionalausgaben. In der im Sauerland war das Foto von dem Mietshaus, in dem er wohnt, weggelassen worden. Ein Freund von ihm saß dort zufällig in einer Kneipe neben einer Gruppe von Stammgästen, die sich über den Artikel unterhielten, wobei Hartmanns Abgreif- Verhalten sie derart erboste, daß der Freund sich nicht traute, den Sachverhalt ihnen gegenüber richtigzustellen: „Ich dachte, die hauen mir sofort welche in die Fresse, wenn sie hören, daß ich mit dem PDS-Politiker auch noch befreundet bin!“

Erst versuchten Hartmanns zwei Assistenten – vergeblich – quasi gütlich eine „Richtigstellung“ zu erlangen. Nach Hartmanns Rückkehr aus Mexiko rieten sie ihm, juristisch dagegen vorzugehen, ansonsten könnte Bild den Stuß immer wieder behaupten. Leider war es dann zu spät. Wenigstens übernahm der Bund doch noch die Mehrkosten, denn die Einbaufirma aus Bonn hatte einen falschen Kostenvoranschlag vorgelegt. Hartmanns Auto war unterdessen völlig zerstört worden, so daß er sich für 700 Mark einen neuen Trabi anschaffte. Zwar kann er gut was einstecken, aber seit der Wende beziehungsweise seit der Entlassung als Betriebsratsvorsitzender nach der Privatisierung seiner Batteriefabrik häufen sich die Niederlagen doch bedenklich! Immerhin zahlen sie sich gelegentlich wenigstens finanziell aus.

Dies scheint mir überhaupt eine spezielle Variante der Berliner Ökonomie zu sein: Scheitern – aber mit goldener Hand! So bekamen zum Beispiel neulich einige bei bei der Elektronikfirma SEL ausgeschiedene Mitarbeiter bis zu 250.000 Mark Abfindung. Wenn sie sich damit nicht selbständig machen, müssen sie es jedoch an den Staat weiterreichen. Auch Hartmann wird sich vielleicht selbständig machen müssen, wenn ihn die PDS nicht noch als Kandidaten für das nächste Abgeordnetenhaus aufstellt. Helmut Höge