Unternehmer gegen Unis

■ Nächsten Dienstag inszenieren deutsche Provider einen Datenstreik gegen das Deutsche Wissenschaftsnetz: Es ist ihnen zu teuer geworden

Daß mit dem Internet das Zeitalter der universalen Kommunikation begonnen habe, gehört zu jenen Glaubenssätzen, deren angebliche Wahrheit lediglich auf einem Wiederholungszwang beruht. Nächsten Dienstag wollen die wichtigsten Privatfirmen, die in Deutschland den Zugang zum Netz vermitteln, beweisen, daß es auch ganz anders geht. Sie werden die Leitungen zum Deutschen Forschungsnetz (DFN) kappen. „Probeweise“ und nur für 24 Stunden, heißt es in der Erklärung, die letzte Woche veröffentlicht worden ist.

Der Datenstreik soll zeigen, wer heute das Internet beherrscht: Unternehmer statt Universitäten, die einst das amerikanische Militärnetz in Deutschland zugänglich machten. An jene Urzeiten werden sich Unistudenten schon wieder erinnert fühlen, wenn sie am 25. November nur im Spiegel online schmökern wollen. Sie werden zu einem amerikanischen Rechner mit Anschluß an das Deutsche Wissenschaftsnetz einerseits und den Rest des Internets andererseits geschickt. Dort finden dann die Datenpakete zum deutschen Spiegel-Rechner zurück. Auch Heimsurfer, die in einem deutschen Universitätskatalog forschen möchten, werden ein paar transatlantische Leitungen mehr verstopfen. Ans Ziel kommen auch sie – das Internet hält selbst den Abwurf von Atombomben aus, so lautet eine weitere Legende mit Wiederholungszwang.

Es muß aber gar keine Atombombe sein, ein deutscher Verein reicht auch. Die privaten Provider, darunter Netzpioniere wie X-Link und EUNet (heute als „UUNet“ zum Verbund des Netzgiganten WorldCom gehörend), „Nacamar“, der private Betreiber eines Hochleistungsnetzes für Firmen und lokale Anschlußanbieter, aber auch CompuServe und der kleine Berliner Branchenaufsteiger „Interactive Networx“ („snafu“) haben ihre Verträge mit dem deutschen Universitätsnetz zum Jahresende gekündigt.

Kommt bis dahin keine Lösung zustande, wird der transatlantische Umweg zum Regelverkehr der Daten zwischen privaten und akademischen Rechnern in Deutschland. Was die beiden trennt, ist ein Streit um bares Geld. Der Anschluß an das Wissenschaftsnetz ist nur für die Studenten kostenlos. Die Leitungen gehören in der Regel der Telekom und müssen vom DFN-Verein gemietet werden, die Mitglieder teilen sich die Kosten. Nur hatte die Gründungssatzung noch nicht damit gerechnet, daß der Datenverkehr zwischen Computern zu einem Geschäft werden könnte. Der Verein sei eine „Organisation der Selbsthilfe“, sagt seine Sprecherin Gudrun Quandel. Dabei ist es bis heute geblieben. Wer die Leitungen des DFN benutzen will, muß Mitglied werden und den Kostenanteil tragen, der dem jeweils in Anspruch genommenen Datendurchsatz entspricht.

In größtmöglicher Marktferne wird in Megabit statt in Preisen für Dienstleitungen abgerechnet. Die Provider, die satzungsgemäß Mitglieder des DFN-Vereins sind, haben deshalb das Gefühl, ein Luxusnetz zu finanzieren, das sie selbst nicht brauchen. Tatsächlich sind höchst unterschiedliche Ansprüche unter einem Dach zusammengepfercht. Universitätsrechner schicken Daten in Größenordnungen über die Leitung, die Kunden privater Unternehmer niemals anfordern.

Mit 80 Millionen Mark finanziert das Bonner Forschungsministerium den weiteren Ausbau der Leitungskapazität. Aber dieser Zuschuß reicht nicht, die Breitbandkabel werden für die Vereinsmitglieder immer teurer – auch für die privaten Provider, selbst wenn sie zusammen heute nur eine Kapazität von bescheidenen 28 Megabit pro Sekunde in Anspruch nehmen. Nach Gudrun Quandels Rechnung tragen sie deshalb auch nur 1,5 Prozent der Kosten, doch das ist ihnen viel zuviel. Denn nicht „wir brauchen das Wissenschaftsnetz, das Wissenschaftsnetz braucht uns“, rechnet Ingo Pahl vor, Sprecher der Duisburger Firma DPN („Deutsches Provider Network“), in der unter anderem der ehemals bekannte Provider „contribnet“ aufgegangen ist.

Sein Argument folgt aus den Logfiles der Server. Die Anschlüsse von DPN an das DFN seien voll ausgelastet mit Daten, die von den Universitäten angefordert werden, sagt Pahl, die Zugriffe der eigenen Kunden auf das Wissenschaftsnetz fielen dagegen kaum ins Gewicht. Professoren wie Studenten lassen sich von den Reizen des World Wide Web in die Netzteile locken, zu denen ihnen die privaten Provider kurze Leitungen anbieten.

Auch deren Kapazitäten müßten erhöht werden, der anschwellende Datenstrom jedoch würde nach den Vereinsregeln zu einer „Kostenxplosion“ führen, heißt es in der Erklärung des DPN. Weil aber aus surfenden Studenten später zahlende Kunden werden können, liegt seit einiger Zeit ein Angebot der Privaten auf dem Tisch: Sie wollen das Forschungsnetz an den Frankfurter Netzknoten „DE-CIX“ anbinden, der schon heute für einen schnellen Datenaustausch zwischen den deutschen Providern und einen leistungsfähigen Anschluß an amerikanische Netzknoten („MAE-West“, und „MAE- East“) sorgt.

Die Kosten der Erstinstallation würden die Betreiber des Frankfurter Knotens (zusammengeschlossen im Dachverband „eco“, dem Initiator der „Internet Content Task Force“) tragen, aber davon ließ sich der DFN-Verein nicht überzeugen – wenngleich sich eine starke Minderheit dafür aussprach. Noch sind die Verhandlungen nicht abgeschlossen. Am 3. Dezember findet in Bonn die Mitgliederversammlung statt. Es wird „bestimmt spannend“, sagt Gudrun Quandel voraus, und für den Fall des unheilbaren Zerwürfnisses hat sich Ingo Pahl seinen eigenen Trost zurechtgelegt. Die Studenten, die über den transatlantischen Umweg deutsche Homepages aufrufen, gleichen die negative Datenbilanz zwischen Deutschland und den USA aus. Alle Deutschen surfen in Amerika, kaum ein Amerikaner in Deutschland, „unsere Rückleitungen liegen praktisch brach“, klagt Pahl.

Auch das wird sich am 25. November ein klein wenig ändern. Amerikanische Rechner werden ungewöhnlich viele Daten aus Deutschland anfordern. Sie schicken sie zwar umgehend nach Deutschland zurück, aber davon müssen deutsche Provider nach dem 31. Dezember nichts mehr wissen. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de