Jelzin opfert Vorzeigereformer Tschubais als Finanzminister

■ Entlassung nach Affäre um Buchhonorar als Zugeständnis an die Kommunisten. Tschubais bleibt Vizepremier

Moskau (taz) – Die Affäre um Rußlands Vizepremier und Finanzminister Anatoli Tschubais hat den Vorzeigereformer sein Ministeramt gekostet. Jelzins Präsidialamt gab gestern nachmittag seine Ablösung bekannt. Stellvertretender Ministerpräsident bleibt er jedoch.

Tschubais war wegen eines ungewöhnlich hohen Autorenhonorars von 150.000 Mark in Verruf geraten. Am Wochenende hatte der Kreml-Chef das Rücktrittsangebot seines effizientesten Gefolgsmannes, unmittelbar nachdem der Skandal ruchbar wurde, noch zurückgewiesen. Indes hatte er nicht gezögert, drei Ko-Autoren der bisher noch nicht veröffentlichten „Geschichte der Privatisierung in Rußland“ vor die Tür zu setzen, unter ihnen den Privatisierungschef Maxim Boiko und den Leiter des Präsidialamtes, Kasakow.

Von Tschubais als Erstem Vizepremier trennt sich der Präsident vorerst nicht, da für diese Aufgabe noch kein geeigneter Nachfolger in Sicht ist. Jelzins Entschluß, Tschubais Doppelfunktion zu beschneiden, ist als Zugeständnis an die kommunistische Fraktion im Parlament zu werten, der der rothaarige Spitzenpolitiker seit jeher ein Dorn im Auge ist und die keine Gelegenheit verstreichen läßt, seinen Rücktritt zu fordern. In einer nicht bindenden Entschließung forderten gestern 267 Parlamentarier den Präsidenten auf, Tschubais aus beiden Ämtern zu entlassen. Bereits am Montag hatten sie ihre Zustimmung zum Haushaltsentwurf 1998 vom Rücktritt des Ersten Vizepremiers abhängig gemacht, ließen nach einem Vermittlungsgespräch mit Premier Wiktor Tschernomyrdin jedoch von ihrem Junktim ab.

Um die Amtsenthebung Tschubais' nicht als reine Disziplinarmaßnahme erscheinen zu lassen, plant Boris Jelzin angeblich, in den nächsten Tagen auch die sieben anderen Vizepremiers, die Doppelfunktionen bekleiden, um ein Amt zu erleichtern. Auf die grundsätzliche Linie der Regierungspolitik wird das Ämter- Reshuffle keine Auswirkung haben. In einem Interview mit der Zeitung Argumente und Fakten gestand der hochdotierte Autor Tschubais reumütig ein, das umstrittene Honorar sei womöglich ein wenig zu hoch gewesen... Im Gegenzug beschuldigte er unterdessen einflußreiche Kreise der russischen Geschäftswelt, seit längerem auf den Staat und ihn Druck auszuüben, um sich auch weiterhin zu Niedrigstpreisen an Staatseigentum bedienen zu können. Damit war der Multimilliardär Boris Beresowski gemeint, der vor zwei Wochen seinen Posten als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates verloren hatte. Der Großmogul hielt den beiden jungen Vizepremiers Tschubais und Boris Nemzow vor, bei Ausschreibungen den Konkurrenten von der Oneximbank begünstigt zu haben. Klaus-Helge Donath