Vorurteilsreservoir ausgeschöpft

■ betr.: „Supermärkte angeln Biolä den Kunden weg“, taz vom 13.11. 97

Der Artikel von K.P. Klingelschmitt zeigt plastisch das Dilemma journalistischer Arbeit, die sich ohne nähere Kenntnis der Materie von außen einem Thema zu nähern versucht und dabei das immer vorhandene Vorurteilsreservoir – vermutlich aus publikumswirksamen Gründen – voll ausschöpft: Das bis zum Abwinken strapazierte Müsli-/Körnerfresser- Image ist in der Realität vom Großteil leistungsfähiger Bioladner längst ad acta gelegt.

Die Beratung im Bioladen dreht sich denn auch eher um Fragen von Lebensmittel-/Gentechnik denn um solche der Psychotherapie. Eine Beratung, die übrigens von der vielbeschrieenen Marketing- Professionalität des konzernbetriebenen konventionellen Lebensmittelhandels nicht geleistet (werden) wird. Ein anderes Beispiel: Daß die zitierte Andechser Molkerei heute in der Lage ist, die Lebensmittelketten mit Bioprodukten zu beliefern, verdankt sie großenteils der Pionierarbeit der Naturkostfachgeschäfte. Diese sind unversehens in die Rolle der Steigbügelhalter geraten: Um im Bild des ökologischen Landbaus, um den es im Kern eigentlich geht, zu bleiben: Nachdem das Feld über Jahrzehnte verbessert und fruchtbar gemacht wurde (oft unter finanziellen Entbehrungen), kommt der konventionelle Handel mit seinem Vorsprung an Logistik und Marketing und will die Ernte einfahren. Der Hinweis auf unzureichendes Marketing der Bioladner ist blind für die Tatsache, daß Marketing viel Geld kostet: Selbiges wurde in den zwei Jahrzehnten des Aufbaus von den allermeisten Ladnern nicht verdient; sie sind vielmehr zwischen der Notwendigkeit mühsamer Selbstreproduktion und dem Vorwurf, zu teuer zu sein, mehr schlecht als recht am heutigen Standort angelangt.

Diese Art von Nischen-Ökonomie gegen einen Milliardenkonzern wie Rewe und dessen Marketingmacht ausspielen zu wollen, zeigt ein erhebliches Maß an Unverständnis oder gar Boshaftigkeit. Der Tenor des Frankfurter Marktgespräches war übrigens nach übereinstimmenden Ohrenzeugenberichten eher optimistisch, was die Naturkostfachgeschäfte betrifft. Auch sei angemerkt, daß die zitierte Marketingexpertin Marion Witte mehrfach betonte, daß sie nicht für Rewe tätig sei. Die Naturkostfachgeschäfte werden mit Sicherheit alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um nicht den Rationalisierern und Preisdrückern des konventionellen Handels das Feld zu überlassen. Denn dadurch stände auch die Seriosität der ökologischen Landwirtschaft auf dem Spiel: Durch zunehmenden Preisdruck auf die Erzeuger (das täglich Brot der Konzerneinkäufer) gerieten diese in Gefahr, ihren ökologischen Standard zu verraten, um überleben zu können. Eine lasche EG-Biogesetzgebung täte das ihre.

Will man wissen, wo Rationalisierungszwang und Preisdruck hinführen, so sehe man sich nur die milliardensubventionierte konventionelle Landwirtschaft an, die die Folgekosten von belasteter und verarmter Fauna und Flora nebst schleichender Trinkwasservergiftung den nachfolgenden Generationen aufbürdet. Klaus Tröger, Rosbach