Die USA kümmerten sich nicht um Irak

■ Seit Bill Clintons Amtsantritt bestand die US-amerikanische Irak-Politik in der Aufrechterhaltung des Nachkriegs-Status-quo

„Stärke hat man, Führung hingegen wird einem übertragen“, hat der frühere US-Außenminister Henry Kissinger einmal gesagt. Stark sind die USA noch immer, aber die führende Rolle bei der Lösung der Irak-Krise scheinen sie an Rußland abgetreten zu haben. Es sieht zwar ganz danach aus, als hätten die USA ihre Ziele – und damit die der UNO – dem Irak gegenüber ohne Konzessionen durchgesetzt.

Aber die Ehre dafür gebührt eher Rußlands Außenminister Jewgeni Primakow durch seine Gespräche mit Iraks Vizeregierungschef Tarik Asis in Moskau als Madeleine Albright mit ihrer Reisediplomatie. Was ist passiert, seit es George Bush vor sieben Jahren gelang, den Irak durch eine breite Koalition zu isolieren? Für die jüngste Krise um den Irak sind die USA mitverantwortlich.

Seit Bill Clintons Amtsantritt bestand amerikanische Golfpolitik in der Erhaltung des Nachkriegs- Status-quo. Es gab weder Ziel noch Bewegung und vor allem keinen Plan für ein „Endspiel“, kritisiert Shibley Telhami vom Brookings-Institut und Mitarbeiter einer Studiengruppe, die Washingtons Golfpolitik für den Council on Foreign Relations analysierte. Daß die USA zur Erhaltung der Koalition die Interessen ihrer Verbündeten stärker berücksichtigen mußten und daß dem Irak ein wirtschaftlicher Anreiz zur Kooperation bei der Durchführung der UNO-Resolutionen und der Waffenstillstandsbestimmungen gegeben werden müsse, wurde zwar vorgeschlagen, blieb aber Minderheitsmeinung. Solange die Situation im Irak nicht akut war, vergaß man sie und vertraute darauf, daß jede Krise mit militärischen Mitteln zu lösen sein werde. Um den Irak kümmerte sich in Washington einfach niemand.

Erschwerend kommt hinzu, daß die USA sich dem „Double Containment“ verschrieben hatten, der gleichzeitigen Isolierung des Iran und des Irak. Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski ist seit Sommer dieses Jahres zum lautstärksten Sprecher einer Gruppe außenpolitischer Fachleute geworden, die diesen diplomatischen „Zweifrontenkrieg“ kritisieren. Sie monieren, daß sich die USA in Hinblick auf den Iran „auch noch einen Streit mit ihren europäischen Verbündeten“ leisteten.

Der jüngsten Herausforderung Saddam Husseins stand ein außenpolitisch geschwächter US-Präsident gegenüber. Der Kongreß ist letzte Woche in den Winterurlaub gefahren, ohne ihm die Vollmachten zum Aushandeln von internationalen Handelsverträgen zu bewilligen, und verweigerte sowohl die Gelder für die Zahlung der amerikanischen UNO-Schulden als auch die Mittel für den Weltwährungsfonds. Dabei können sich die Grundzüge der US-Politik am Golf auf einen breiten Konsens in der amerikanischen Bevölkerung stützen. Nach einer Untersuchung des „Programs of International Policy Studies“, das Meinungen zur Außenpolitik erforscht, halten 66 bis 70 Prozent der Befragten die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln für eines der schwerwiegendsten Probleme der Gegenwart. Anders als der republikanisch dominierte Kongreß will die Mehrheit der Amerikaner auch, daß die USA bei der Beseitigung dieser Gefahr mit der UNO zusammenarbeiten.

Nach jüngsten Umfrageergebnissen befürworten heute 84 Prozent der Amerikaner eine militärische Reaktion der USA für den Fall, daß US-Aufklärungsflugzeuge abgeschossen werden. Für ein einseitiges Vorgehen der USA auch ohne Verbündete sind weitaus weniger Bürger, wenn auch immerhin 50 Prozent.

Anders als in der Zeit vor Beginn des Golfkrieges gibt es zur Zeit in den USA keine öffentliche Debatte über die Politik Washingtons in der Golfregion und keine organisierte Opposition gegen ein militärisches Vorgehen. Noch hat sich angesichts der Konfrontation mit dem Irak in den USA keine neue Friedensbewegung gebildet. Peter Tautfest, Washington