„Meine Klagen in Wiesbaden bewirken nichts“

■ Heinz Bauer, Präsident der Universität Gießen, über die Studentenproteste und die Rolle der Politik

taz: Herr Bauer, Sie spielten gestern beim Streikkonzert an ihrer Universität Klavier. Einen Trauermarsch oder was Aufmunterndes für boykottierende Studierende?

Heinz Bauer: Wir haben den 6. Ungarischen Tanz von Brahms gespielt – also eine sehr heitere Musik! Aber ich denke, es ist sowieso schon viel erreicht worden. Die Öffentlichkeit ist aufmerksam geworden. Wir sind in den Zeitungen, das Fernsehen ist dabei. Die Studierenden erzählen mir, daß die Leute auf der Straße wissen wollen, was es mit der Misere an den Hochschulen auf sich hat. Das brauchen wir, denn meine Klagen allein bei der Landesregierung in Wiesbaden bewirken nichts. Ich habe mir dort mehrfach anhören müssen: Wo bleiben denn die Proteste aus der Hochschule?

Ein mediales Ereignis also – das bald wieder vorbei sein kann. Was bringt der Protest konkret für Gießen?

Wir haben zunächst 100.000 Mark bekommen, um die schlimmsten aktuellen Engpässe in der Lehre zu überwinden. Aber die Bewegung hat bereits auf alle hessischen Hochschulen übergegriffen und sich bundesweit bemerkbar gemacht. Ich hab' den jungen Leuten gesagt, daß die bundesweiten Studentenproteste vor neun Jahren Hochschulsonderprogramme nach sich gezogen haben, von denen wir heute noch zehren. Für einen großen Erfolg halte ich auch, daß sich die Hochschulangehörigen solidarisieren: Professoren und Studierende machen jetzt gemeinsam Veranstaltungen über die miserable Situation an den Hochschulen. So was gab's noch nie. Gestern hat mir eine Musikstudentin gesagt, sie habe in diesen drei Wochen mehr über sich und ihre Stellung in der Universität und der Gesellschaft gelernt als in drei Semestern Studium. Das zeigt ein Defizit der deutschen Hochschule auf: daß die Studierenden eine Bildung wünschen, die sie in diesem mangelhaften Ausbildungssystem gar nicht bekommen können.

Davon können Sie weder Lehraufträge bezahlen noch ihre Bibliothek adäquat ausstatten.

Zunächst nicht. Aber die Haushaltsansätze für die nächsten Jahre sind ja noch nicht verabschiedet. Es ist zwar absurd, daß wir darum kämpfen, nicht weiter gekürzt zu werden, anstatt mehr Mittel zu fordern. Da wollen wir doch mal sehen, was Ministerpräsident Hans Eichel dazu sagt, der heute an die Uni kommt.

Was kann Herr Eichel überhaupt mitbringen? Sind das Heftpflaster, oder kann man auf strukturelle Veränderungen hoffen?

Er könnte die Bereitschaft zeigen, den Haushalt prinzipiell zu ändern. Wir kennen ja die Eckwerte, die hier für Gießen katastrophal sind. Ich habe 1996 im Gegenwert von 3,9 Millionen Mark Stellen sperren müssen. Dieses Jahr sind es schon 7,2 Millionen Mark. Wenn er bereit ist, über eine Lockerung ernsthaft zu diskutieren, ist das schon viel. Die erwähnten 100.000 Mark helfen uns, Tutorien einzurichten – das ist natürlich keine Dauerlösung.

Wen werden die Stellensperren treffen?

Bei uns sind alle Fächer davon betroffen. Personell wirken sich die Kürzungen am schlimmsten beim Mittelbau aus. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist die Situation wirklich dramatisch. Wir setzen die Zukunft der nächsten Generationen aufs Spiel. Interview: Christian Füller