Von Elmshorn nach Edmonton

■ Der Bosnier Sinisa Matic machte am Samstag sein letztes Spiel in der Verbandsliga

Als Trainer Eugen Igel in der 88. Minute die dritte Auswechslung ankündigt, trommelt das Elmshorner Publikum gegen die Werbebanden. Daß ihr FTSV Rasensport durch das 3:0 über Barsbüttel gerade Verbandsliga-Herbstmeister wird, ist dabei nur ein Nebenaspekt. Der Applaus gilt einem Reisenden wider Willen: Sinisa Matic verläßt das Feld – zum letzten Mal für Raspo Elmshorn.

Nach dem Schlußpfiff wird dem 24jährigen von einem Fan Knopf für Knopf das Trikot ausgezogen. Später wird Sini, wie sie ihn hier nennen, als Entschädigung ein T-Shirt mit aufgedrucktem Mannschaftsfoto überreicht bekommen.

Szenen eines Abschieds in Elmshorn: Am heutigen Montag fliegt Sinisa Matic samt Familie ins kanadische Edmonton. Gezwungenermaßen: Die Duldung des bosnischen Kriegsflüchtlings läuft zum 1. April 1998 aus.

1992 flüchtete Matic mit Eltern und Bruder aus Prijedor zu einem Onkel in Norderstedt. Der gelernte Elektroingenieur fand Arbeit als Dachdecker – und spielte Fußball: Der Mittelfeldspieler vom bosnischen Zweitliga-Club Rudar kickte zuerst beim Drittligisten Norderstedt. 1994 holte Igel ihn an die Wilhelmstraße.

Eine Rückkehr nach Prijedor komme für ihn nicht in Frage, erzählt Matic. Seine Heimatstadt liegt mittlerweile in der nationalistischen „serbischen Republik“Bosniens, und in einem anderen Landesteil „wäre ich genauso Fremder wie überall sonst auch“.

Die letzte Möglichkeit, durch einen Vertrag bei einem höherklassigen Club mit einem „Fußball-Visum“hierbleiben zu können, zerschlug sich in der vergangenen Woche. Er habe „immer davon geträumt, hier höher zu spielen“, sagt Matic, doch Kontakte zu Proficlubs kamen erst zustande, als die „Rückführung“bereits drohte. „Wir haben das lange zu leicht genommen“, räumt er ein.

Als Matic schon auf gepackten Koffern saß, konnte Igel einige Trainingstermine organisieren. Visiten in Verl, Magdeburg und bei Tennis Borussia Berlin blieben ergebnislos. Für die HSV-Amateure war Matic bereits zu alt, beim FC St. Pauli lief die Koordination „unglücklich“, wie Matic nicht ohne Enttäuschung bemerkt.

Vorigen Montag absolvierte er ein Probetraining, worauf St. Pauli-Manager Helmut Schulte eine Spielgenehmigung für den Test bei Altona 93 am Dienstag erwirkte. Doch für die sportliche Leitung war der Kick als Vorbereitung aufs Spiel in Frankfurt gedacht – und Matic dementsprechend nicht eingeplant. Als Co-Trainer Gerhard Kleppinger ihm das sagte, brach der Bosnier die Zelte ab.

„Wenn ich gespielt hätte, hätte ich noch überlegt“, meint Matic, „aber man kann mich nicht verpflichten, ohne mich spielen gesehen zu haben“. Matic sagte das Training ab und fuhr zur kanadischen Botschaft nach Bonn, um „das größte Problem“zu lösen: Seine Verlobte Nerma muß einen separaten Einreiseantrag nach Kanada stellen. Heiraten durften beide noch nicht, da jede Änderung des Familienstandes die Einreisegenehmigung gefährden könnte. Wenn er in Kanada einen Job habe, dürfe Nerma nachkommen, signalisierte die Botschaft. „Es gibt nicht mehr viele Länder“, weiß Matic, „die jetzt noch Kriegsflüchtlinge aufnehmen“. Den Weg nach Amerika vermittelten einstige bosnische Nachbarn mit Kontakten zu Einheimischen. Die sportliche Karriere ist in den Hintergrund gerückt: Namen von soccer-Clubs in Edmonton kennt Matic noch nicht.

„Ich habe eigentlich nichts zu feiern, aber ich möchte mich noch bei der Mannschaft und den Verantwortlichen bedanken“, sagt Matic nach seinem letzten Spiel, bevor er zu seiner Abschiedsparty geht. Die Stadionzeitung Raspo Kurier schrieb: „Es ist wie ein Urteil ,lebenslänglich', wenn man zwangsläufig Abschied nehmen muß.“Ganz so schlimm muß es nicht werden: In drei Jahren, wenn Matic mit dann erlangter kanadischer Staatsbürgerschaft wieder willkommen ist, will er Südholstein einen Besuch abstatten. Raspo-Manager Hans-Jürgen Stamer kündigte schon einmal an: „Wir halten das Rückflugticket für dich bereit.“

Folke Havekost