Ödipaler Rausch

■ James Ellroy arbeitet mit „Die Rothaarige“den Mord an seiner Mutter auf

Natürlich ist der Mann ein Wahnsinniger, natürlich betreibt er seinen Wahnsinn mit Akribie. Seit eineinhalb Jahrzehnten schreibt James Ellroy Krimis, aber eigentlich schreibt er nur an seiner eigenen Geschichte. Und wer ein bißchen in Magazinen blättert oder manchmal Fernsehen sieht, der kennt diese Geschichte, denn der Amerikaner, der in Interviews so hitzig wie humorig vor sich hinfaselt, ist selbst sein bester Promoter: Als er ein kleiner Junge war, Ende der Fünfziger in einem Vorort von Los Angeles, wurde seine Mutter vergewaltigt und erdrosselt. Sein Lebenslauf, das ist verständlich, nimmt keine gute Wendung, und immer spielt er den Loser: Klassenkasper, Spanner, Junkie, Penner.

Doch dann naht Rettung, Ellroy schreibt seinen ersten Krimi. Das ist für ihn ein Weg, mit der eigenen Vergangenheit zu dealen. Hat er sich die ersten drei Jahrzehnte aus der Wirklichkeit fort onaniert und fantasiert, nutzt er jetzt die Szenarien seiner Romane, um in die Zeit zurückzukehren, in der er seine Unschuld verloren hat. Erregend und zuweilen unappetitlich verbindet sich in seiner Literatur die eigene Neurose mit kollektiven Traumata – daß er dabei mit den Mitteln der Pornographie spielt und den Sog einer Droge verbreitet, liegt in der Natur der Sache. Und wer will schon immer ganz clean sein?

Die Schwarze Dahlie hieß der Roman, der ihn berühmt gemacht hat. Darin greift Ellroy den historischen Mordfall an einem Hollywood-Starlet auf – die Parallelen zu seiner Mutter sind überdeutlich. Und noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen, seit mit Ein amerikanischer Thriller sein letztes Werk erschienen ist, ein an Ekligkeiten kaum zu toppender Fiebertraum über den Kennedy-Clan, der nicht zufällig in jenem Jahr ansetzt, in dem für den kleinen Ellroy die Welt zusammengebrochen ist. Für ihn – im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute – ist Amerika nicht erst mit der Ermordung John F. Kennedys schuldig geworden. Denn wer als Kind schon seine Unschuld verloren hat, für den gilt nicht bis zum Gegenbeweis die Unschuldsvermutung.

Was Ellroy nicht in den Kram paßt, ignoriert er. Das ist Technik. So steht bei ihm die psycho-soziale Wirklichkeit vor der historischen Wahrheit. Da sollte man sich nicht von der Tatsache täuschen lassen, daß er zum Protokoll-Stil neigt.

„Aufschreiben! Aufschreiben! Aufschreiben!“lautet auch der Imperativ, der sich durch den neuen Roman zieht. Die Rothaarige erzählt, wie Ellroy mit einem pensionierten Polizeibeamten die Ermittlungen an dem Mordfall seiner Mutter wieder aufnimmt. Nur scheinbar unreflektiert sammelt er am Anfang alle Informationen – unbeteiligt und verdammt ermüdend sind diese 100 Seiten erfolgloser Recherche. Eine Art narratives Täuschungsmanöver, hinter dem sich erst spät das eigentliche Anliegen des Autors auftut. Im ödipalen Rausch fantasiert er sich zu seiner verlorenen Mutter – ein Kollege wie Philip Roth, der ja auch für alle Ferkeleien im Kreis der Familie zu haben ist, wirkt gegen ihn wie ein Hasenfuß.

James Ellroy schreibt kühl und kurzatmig. In seiner Sprache gibt es nur einfache Hauptsätze, und wenn er mal ein Komma setzt, dann nur, um noch eine Zote dranzuhängen. Das Verbrechen, die einzige Leidenschaft in seinem Leben, bildet die emotionale Brücke zur Mutter. Machen wir keinen Fehler: Die Rothaarige ist ein Liebesroman.

Christian Buß

James Ellroy: „Die Rothaarige“. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl und Heinrich Anders. Hoffmann und Campe 1997, 462 S.