■ Immer wieder für eine Überraschung gut: Tierliebe Väter mit Sonderwünschen: Der Staat, die Hühner und die Flughafensicherheit
Der elterliche Besuch ist nichts Alltägliches, wenn die Eltern aus dem zweieinhalbtausend Kilometer von Hamburg entfernten Griechenland anreisen. Die Normalität setzt für die Dauer des Besuchs aus – und zwar von dem Moment an, in dem die verborgen gebliebenen Seiten eines Elternteils an die Oberfläche gelangen.
Noch halb im Schlaf schleppt man die Beine an einem Sonntagvormittag über den Hamburger Fischmarkt, da nimmt das Unheil seinen Lauf: Wie angewurzelt bleibt der Vater plötzlich vor einem Käfig stehen, in dem sich ein paar scheue Hühner tot stellen. Den Blick starr auf das Objekt seiner Begierde gerichtet, zupft er den Dolmetscher aufgeregt am Ärmel, denn der Vater ist der einheimischen Sprache nicht mächtig.
Beim Federvieh handelt es sich nämlich keineswegs um Durchschnittshühner, sondern um – aufgepaßt – Seidenhühner, die in Griechenland für das Dreifache gehandelt werden. Und während noch alle bemüht sind, den leidenschaftlichen Ausbruch des Vaters nachzuvollziehen, ist schon ein Hühnerpaar in einer Kiste, die sich wiederum fest im väterlichen Griff befindet.
Der Fischmarktbesuch ist damit bereits vorbei, denn die Hühner brauchen Ruhe. Also zurück nach Hause, wo der Balkon zum Hühnerstall umfunktioniert wird. Der Aschenbecher muß als Trinkgefäß herhalten, und überall fliegen Körner aus kontrolliertem biologischem Anbau herum.
Als ob das alles nicht genug wäre, fühlt sich die Schwiegertochter – in ihrer Profession als Rechtsanwältin – gezwungen, die Behauptung aufzustellen, man könne doch nicht so ohne weiteres Tiere außer Landes schaffen. Dafür erntet sie nur verständnislose Blicke seitens des Vaters. „Schließlich“, meint er, „leben wir in der Europäischen Union.“ Und es dürfe inzwischen jedem bekannt sein, daß innerhalb des europäischen Hauses keine Grenzbarrieren existieren.
Fortan, bis zum Rückflug, beschäftigen sich der Großvater und die Enkelkinder mit den Hühnern und der Rest der Familie mit den gesetzlichen Bestimmungen. Und letztere haben konkrete Maße: 39 Zentimeter Breite, 36 Zentimeter Länge und ein Volumen von 53 Liter. Das sind nämlich – so das Forschungsergebnis der Frau im Reisebüro, die sich des Problems schließlich annahm – die gesetzlich vorgeschriebene Innenmaße für den artgerechten Transport. Die konkrete Lösung trägt dem Namen „Container Nr. 1“, hat die Außenmaße 45/40/60 und ist nach Vorbestellung für 95 Mark am Flughafen erhältlich.
Während die Innenmaße tierschutztechnisch eine Rolle spielen, sind die Außenmaße für die Fluggesellschaft von Bedeutung: für die Reservierung des passenden Platzes im beheizten Teil des Gepäckraums. Damit aber die ganze Prozedur überhaupt ins Rollen kommt, ist ein gewisser „gelber Zettel“ (O-Ton griechisches Konsulat) notwendig, was soviel ist wie eine Unbedenklichkeitserklärung des Tierarztes. Man stelle sich nur vor, die griechischen Grenzbeamten sähen sich aufgrund des fehlenden gelben Zettels gezwungen, die Seidenhühner mit dem nächsten Flieger nach Deutschland abzuschieben! Artgerecht verpackt stünden sie dann im Transitraum des Frankfurter Flughafens. Unschöne Szenen, die vermieden werden müssen.
Soviel Bürokratie ist allerdings der griechische EU-Bürger nicht gewohnt. Er verkündet nun beiläufig, daß er die geliebten Hühner im Pappkarton als Handgepäck transportieren werde. Ohnehin plagen ihn größere Sorgen: die Bestrahlung des Handgepäcks, die sich verheerend auf die kommenden Hühnergenerationen auswirken könnte. Deswegen wird er zunehmend unruhiger, während wir uns Gedanken machen, was wir wohl mit den Hühnern anfangen werden, wenn die – und davon sind wir felsenfest überzeugt – das Land nicht verlassen dürfen.
Die Zeit vergeht. Der letzte gemeinsame Abend steht an, die letzten Erinnerungsfotos – mit Hühnern – werden gemacht, Stimmung will aber einfach nicht aufkommen.
Am nächsten Tag stehen wir nervös vor der Bordkartenkontrolle. Dem Flughafenangstellten ist das Problem von verstrahlten Seidenhühnergenerationen so was von ... egal, daß der dem Dolmetscher nicht erlauben will, bis zur Handgepäckkontrolle mit vorzuschreiten. Die Nerven liegen blank, Tumult und Schlange entstehen; die Situation droht außer Kontrolle zu geraten. Und nun fühlt sich auch noch die Staatsmacht auf den Plan gerufen. Ein Polizist nähert sie sich dem Geschehen.
Nach aufmerksamem Zuhören entspannt sich das Gesicht des Beamten. Er nimmt Vater und Hühner in seine Obhut, und nachdem – das muß ich schon betonen – er den Inhalt des Kartons ordnungsgemäß inspiziert hat, begleitet er den glücklichen Vater an dem gefürchteten Gerät vorbei. Übriggeblieben sind ein von Hühnerkacke verdreckter Balkon und die blanke Angst vorm nächsten elterlichen Besuch. Es wäre aber alles halb so schlimm, wenn diese Geschichte unseren Glauben an den Rechtsstaat nicht so erschüttert hätte. Man fragt sich nur: Was für Verhältnisse herrschen bloß im europäischen Haus? Nikos Theodorakopulos
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