■ An die Arbeit! (5) Nur regionale Wirtschaftskreisläufe und arbeitsintensivere Produktion führen aus der Globalisierungsfalle
: Wochenmarkt statt Weltmarkt

Bringt der entfesselte Kapitalismus Segen, Reichtum und eine gesunde Umwelt für alle? Oder brauchen wir staatliche Wirtschaftsprogramme, weltweit fest vereinbarte Mindestlöhne und Sozialstandards sowie die 25-Stunde-Woche von Alaska bis Feuerland?

Die Grünen, gleichermaßen geprägt durch eine linkssozialdemokratische wie durch eine ökolibertäre Grundstimmung, sind verwirrt. Zwischen neoliberaler Verheißung und nachfragesozialistischen Versprechungen hocken die grünen Pragmatiker ratlos in der Zirkuskuppel und jammern über die Globalisierungsfalle. Da tröstet es wenig, daß den Standortideologen, deren globaler Kapitalisierungswahn längst auch führende Sozialdemokraten wie etwa Gerhard Schröder, Wolfgang Clement oder Henning Voscherau infiziert hat, angesichts ihres offenkundigen Versagens mittlerweile kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst – nicht nur an der Wahlurne.

Deregulierung, Reallohnabbau und Sozialdumping haben der deutschen Ökonomie zwar ein beständiges, jüngst wieder deutlich beschleunigtes Wachstum beschert. Doch ähnlich wie in den 70er Jahren, als die herrschende Volkswirtschaftslehre am Phänomen der „Stagflation“ knabberte, jener Kombination aus Inflation und wirtschaftlicher Stagnation, die in ihren Lehrbüchern nicht vorgesehen war, so staunt man jetzt über die Kombination von flottem Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit. Knapp drei Prozent Wachstum des Bruttosozialprodukts und dennoch wachsende Arbeitslosigkeit – das treibt nicht nur den Arbeitskreis Steuerschätzung und Norbert Blüm zur Verzweiflung.

Kein Wunder, daß solches Elend auch einige längst totgeglaubte Wirtschaftstherapeuten auf den Plan rief. So krabbelt der Keynesanismus aus seiner tiefen Gruft. Da sollen staatliche Investitionsprogramme für Infrastruktur und Umwelt die Wirtschaft ankurbeln, da wird der Aufbau eines großen staatlich geförderten öffentlichen Beschäftigungssektors beschworen, um die Lücke zwischen Erwerbsarbeit und Sozialhilfe zu schließen, da feiern die Apologeten eines Außenhandelsprotektionismus fröhliche Urständ, die so den deutschen Arbeitsmarkt vor „Sklavenarbeit und Sklavenwaren“ schützen sollen, wie es kürzlich Karl-Georg Zinn formulierte.

Übersehen wird dabei, daß der altlinke Schleichweg zur sozialen Gerechtigkeit dem neoliberalen Bulldozerpfad zum Reichtum eng verwandt ist. Beide gründen auf dem Glauben an Wachstum und weltweite Arbeitsteilung. Daß es sich bei dieser Wachstumsreligion, gleich welcher Spielart, nicht um ein Naturgesetz, sondern um einen nicht beherrschbaren Irrweg handelt, dessen Ressourcengefräßigkeit soziale Gerechtigkeit und die Umwelt gleichermaßen gefährdet, ist freilich selbst vielen angegrünten und neolinken Wirtschaftstheoretikern nicht bewußt.

Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, Nord und Süd, Arm und Reich läßt sich aber nicht durch Wachstum erreichen – egal, ob der Spekulant oder der Staat es auslöst. Was aber dann? Kann es ein Mehr an Erwerbsarbeit ohne ein Wachstum des Bruttosozialprodukts geben? Die überraschende Antwort ist: Ja. Es geht auch ohne Pizza-Services mit 610-Mark-Jobs, Aldi-Schnäppchen aus Shanghai, das Dienstmädchen-Wunder der FDP oder die staatliche Beschäftigungsgesellschaft. Entscheidend für Arbeit und Zukunft sind nämlich schon längst nicht mehr das Ob, sondern das Wie von Produktion und Konsum. Die Zauberformel lautet: Maßarbeit statt Massenproduktion, Wochenmarkt statt Weltmarkt, Handwerk statt High-Tech, wie Christine Ax es in ihrem jüngst erschienenen Buch „Das Handwerk der Zukunft“ treffend beschreibt.

Es geht um die ressourcenschonende Produktion höherwertiger Güter und Dienstleistungen, die regional produziert und konsumiert werden. Das ist keine weltfremde Utopie, die gegen die Wünsche der Konsumenten und gegen die Naturgesetze von Weltmarkt und Ökonomie verstößt. Im Gegenteil: Amerikanischer Weizen, der die Nahrungsmittelproduktion Afrikas vernichtete, europäische Argrarindustrielle, welche die bäuerliche Landwirtschaft zerstörten, Supermärkte, welche die Zahl der Arbeitsplätze im Handel eindampften – alle haben sich nur mit staatlicher Subvention durchgesetzt. Und dies ließe sich leicht umdrehen: Würde alleine in Deutschland die ökologische Landwirtschaft so gefördert wie bisher die Agrarindustrie – die Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft könnte um 10 bis 20 Prozent zulegen. Würden die Subventionen für Großmärkte eingestellt und ihr Ressourcenverbrauch angemessen besteuert, könnten im Einzelhandel Hunderttausende neuer Vollarbeitsplätze entstehen, die verödeten Stadtzentren, insbesondere in Ostdeutschland, aufblühen. Steuern auf Energie und Ressourcenverbrauch statt auf Arbeit und Einkommen, kombiniert mit einem völligen Abbau bisheriger Subventionsstrategien, sowie eine Wirtschaftspolitik, die statt auf den Weltmarkt auf das Stadtviertel und die Region guckt, könnten jene Trendwende bewirken, die Voraussetzung für ein nachhaltiges, grünes Wirtschaftswunder wäre.

Uns geht nicht die Arbeit aus, wie viele Linke es angesichts der gewaltigen Produktivitätszuwächse im industriellen Sektor befürchten. Statt dessen neigt sich das Industriezeitalter insgesamt dem Ende zu. Und dies eröffnet die Chance für eine Renaissance jener regionalen Wirtschaftskreisläufe, die glücklicherweise ja auch heute noch wirtschaftlich weit bedeutsamer sind, als es uns die Globalisierungsfetischisten glauben machen wollen. Selbst innerhalb der Fabriken ist der Prozeß weg von Fließband und Arbeitsteilung, hin zu Teamarbeit und Manufaktur in vollem Gang.

Für diese Trendwende müssen wir nicht auf eine Weltregierung, die europaweite Einführung der Ökosteuer oder den rot-grünen Wechsel in Bonn warten. Natürlich braucht globaler Wandel auch globale Veränderung. Aber den kann es nur geben, wenn sich lokale Erfolge durch Nachahmung vervielfältigen. Die vielbeschworene Wiederbelebung von Stadtteilen und die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft haben längst begonnen. Und es läßt sich vor Ort intensivieren und befördern. Nicht die Streichung des Soli oder das staatliche Investitionsprogramm, sondern allein die Förderung kleinteiliger, wertorientierter und arbeitsintensiver Produktion bietet die Chance für den Ausweg aus der Globalisierungsfalle des Industriezeitalters. Florian Marten