: Mit Kruzifix und Satellitensystem
Eigentlich hätte die Frage nach dem Vorsitzenden gar kein Thema des CSU-Parteitags werden sollen. Eigentlich. Doch dann gab es da diesen Delegierten aus dem Ortsverband Steinbach. Und die Frage, wie sehr die Politik Bonns die bayrische Identität bedroht ■ Aus München Dieter Rulff
Dem Reiser Josef stand auch hernach noch die Aufregung rotwangig ins Gesicht geschrieben. Es sei „halt nicht einfach, vor tausend Delegierten aufzustehen und seine Meinung zu sagen“. Einfach ist das wahrhaftig nicht, vor allem nicht, wenn man den tausend Delegierten des CSU-Parteitages diese Meinung sagt: Er sei, so druckste Reiser in eines der Saalmikrofone, nachdem sich unter Punkt 15 der Tagesordnung, „Verschiedenes“, die letzte Möglichkeit für seinen Auftritt bot, er sei Delegierter aus dem Ortsverband Steinbach und „soll Edmund Stoiber vorschlagen zum Parteivorsitzenden“. Stille. Die Delegierten, die mit ihren Gedanken schon wieder daheim im Allgäu oder in Franken waren, hielten inne.
Und der Josef Reiser, wohl spürend, welch Lunte er mit seinen Worten legte, wollte sie am liebsten gleich wieder einholen. Er habe darüber mit dem Bezirksvorsitzenden geredet, und der habe ihn mit dem Stoiber zusammengebracht. Und der habe schon deutlich gemacht, daß er den Parteivorsitz nicht wolle. Aber die 30 Mitglieder seines Ortsverbandes hätten das beschlossen, und er habe das als Auftrag empfunden, das weiterzuleiten. Denn sie bedrücke einiges. Und Reiser nennt den Schuldenberg, die Arbeitslosen und die Zurückhaltung ausländischer Investoren. Reiser will noch sagen, daß diese Situation die volle Konzentration des ersten Vorsitzenden Dr. Theo Waigel als Finanzminister benötige und sie es deshalb für wichtig erachten, daß unser bayerischer Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber den Parteivorsitz der CSU übernimmt und somit Waigel entlastet. Doch Reiser sagt es nicht mehr. Statt dessen antwortet die Tagungspräsidentin Stamm: „Die Rede des Parteivorsitzenden hat deutlich gemacht, daß wir die Dinge mutig angehen.“
Der Parteivorsitzende quittiert den Nadelstich aus Steinbach mit unbewegter Mine. Keine zwei Stunden zuvor hatte er sich bei den Delegierten für sein bislang schlechtesten Wahlergebnis bedanken müssen, hatte die 85 Prozent „ausgezeichnet“ nennen müssen. Und er mußte zuhören, wie der Stoiber am Mikrofon das Ergebnis als „großen Vertrauensbeweis“ würdigte, es hernach an den Pressetischen aber als Ausdruck einer „schwierigen Phase“ interpretierte. Doch dann hatte Helmut Kohl ihn wieder aufgebaut, hatte den „Mann, der eines der schwierigsten Ämter auszufüllen hat“, über das unbefriedigende Ergebnis mitfühlend hinweggetröstet: „Nimm dir ein Beispiel an mir, ich hab' meines längst vergessen“.
Dabei war die Frage des Vorsitzes gar kein Thema dieses Parteitages. Wahlkampf ist angesagt, da kann man keine Querelen gebrauchen. Stoiber hatte gar Waigel zur Wiederwahl vorgeschlagen, weil „die Mitglieder erwarten, daß vor einer sehr schwierigen Etappe die Zugpferde nicht bocken, sondern ziehen und zwar gemeinsam“. Nun weiß die Partei aber, daß auch wenn der Stoiber gemeinsam zieht, er dabei die Nase gerne ein Stück weit vorne hat. So war die Konkurrenz der beiden auf diesem Parteitag kein Thema und war es natürlich doch. Denn die Nasenlänge, die Stoiber vorne liegt, will immer wieder neu vermessen werden.
Da hält der Ministerpräsident am Freitag geschlagene zwei Stunden lang seine Rede, der Parteivorsitzende zieht tags drauf mit eineinhalb Stunden nach. Der Applaus für Stoiber ist groß, dreimal muß er sich wieder vom Platz erheben und dreimal muß der danebensitzende Waigel ihm gleich tun. Der Applaus für Waigel ist größer, nur bleibt Stoiber seinerseits beim dritten Mal sitzen.
Ob Stoiber den Euro geißelt oder seine Bauern lobt, ob er sich selbst feiert oder die Sozialdemokraten niedermacht, alles ergießt sich in einem aggressiv überstürzenden Schwall auf die Delegierten, dabei doch nie den ordnenden Rahmen des ausformulierten Manuskriptes verlassend. Weicht er doch einmal ab, so ist es leicht um Sinn und Satzbau geschehen.
Der Parteivorsitzende hingegen läßt seine Gedanken noch beim Reden wandern, weiß die Tempi zu variieren, doch findet er Bilder von oft einfältiger Natur. Er predigt null Toleranz mit der Einsicht, daß die Großkriminalität sinke, wo man Kleinkriminalität bekämpft, und hält den Grünen vor in den achtziger Jahren den Schutz minderjähriger Mädchen vor sexuellen Mißbrauch abgeschafft zu haben. Mit Populismus kaschiert er die Zusammenhanglosigkeit seiner Ausführungen.
Wo Waigels Rede durch die politische Landschaft der Bundesrepublik mäandert, kreisen Stoibers Worte um Bayern. Von hier aus geht er über zu Deutschland und der Welt, um dabei immer wieder ins Zentrum zurückzukehren. Bayern, „Weltregion und Heimat“, das Motto seiner Rede klingt wie die christsoziale Ausprägung der „Glokalisierung“ des Soziologen Ulrich Beck. Eine In-eins-Setzung von Kruzifix und Technologiegläubigkeit, Alpentälern und Astra-Satellitensystem.
Wo alle von der Bedrohung des Standortes Deutschland reden, spricht Stoiber vom Standort Bayern, der durch Deutschland bedroht ist. Bayern, das amerikanische Modell für Deutschland, die Wirtschaftsmacht mit der geringsten Arbeitslosigkeit, um diesen programmatischen Kern zentriert sich seine Politik des föderalen Egoismus. Daraus speist sich sein Lamento über die Ungerechtigkeit des Finanzausgleichs wie seine Initiative zur Regionalisierung der sozialen Sicherungssysteme. Minutiös vermag Stoiber die Summen vorzurechnen, die durch diese Systeme aus Bayern in die anderen Länder abfließen. Waigel und den Bonner CSUlern bleibt vorbehalten, diesen Abfluß zu begründen, die nationale Komponente christlich-sozialer Politik zu verteidigen.
Waigel, nicht nur in dieser Frage der personifizierte Zwiespalt, weicht aus. Als Gesundheitsminister Horst Seehofer ankündigt, den Beschluß zur Regionalisierung der Sicherungssysteme zu mißachten, weil er dem Lastenausgleich für die Krankenkassen des Ostens zustimmen will, hat der Parteivorsitzende den Saal verlassen. Hinterher wird er in den Gängen von einer Lösung reden, „die nicht nur eine bayerische sein kann“.
Es ist jedoch Seehofer überlassen, Stoiber wieder halbwegs auf eine praktikable Linie zu bringen. Danach ist es auch für den Ministerpräsidenten „selbstverständlich Hilfe für die Krankenkassen im Osten zu leisten“. Noch, denn in wenigen Jahren will er das Thema wieder auf die Tagesordnung setzen. Der Parteitag jedoch, fordert Stoiber, müsse „ein positives Signal setzen für die Regionalisierung, damit Druck ausgeübt wird“. Denn die CSU habe in erster Linie die Interessen Bayerns zu vertreten. Daß sie das tut, dafür sorgt er. Daß sie nicht alleine das tut, dafür will oder muß Theo Waigel stehen.
In den Monaten bis zur Landtagswahl im September sei – so lautet die Devise – „alles zu tun“, damit Stoiber im Amt bleibt. Waigel will auch alles tun, kann es aber nicht. 6.252mal kam er in diesem Jahr in den Nachrichten von ZDF, ARD, RTL und Sat.1 vor, seine Partei nur 1.335mal. Ein Drittel der Nachrichten über ihn waren negativ, bei der CSU waren es nur 13,7 Prozent. Das Leipziger Institut für Medienanalyse, das die Daten erhob, kommt zu dem Resümee, „die Kritik an Waigel könne auch Folgen für seine Partei haben“. Auch CSU- Wähler sehen fern.
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