Griefahn rettet teure Atomruine

Um eine Schadenersatzklage der Atomindustrie über 15 Millionen Mark abzuwehren, schließt Niedersachsens Umweltministerin einen Knebelvertrag  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Selbst „strafrechtliche Folgen für die Aufsichtsbeamten im niedersächsischen Umweltministerium“ will der Berliner Atomrechtsspezialist Reiner Geulen nicht ausschließen. Geulen spricht von dem Vertrag zwischen der Essener Gesellschaft für Nuklear- Service (GNS) und der Genehmigungsbehörde in Hannover, nach der die Ministerin künfig bei der Einlagerung von Castor-Behälter besonders zuvorkommend sein will. Wenige Monate vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt als Landesumweltministerin hat ausgerechnet die einstige Greenpeace-Aktivistin Monika Griefahn die Gorleben-GegnerInnen „verraten und verkauft“, wie sich der Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg Wolfgang Ehmke ausdrückt. Seiner Ansicht nach soll mit Hilfe der Vereinbarung, mit der sich das Umweltministerium gegenüber der GNS zur Erfüllung aller Genehmigungswünsche verpflichtet, eine Anlage in Betrieb genommen werden, die auf dem besten Wege zu einer Investitionsruine war.

Hintergrund der Geschichte: Wenige Monate vor ihrer Ablösung durch eine rot-grüne Koalition hatte die von Ernst Albrecht geführte CDU-Landesregierung 1990 die erste atomrechtliche Teilgenehmigung für die Pilotkonditionierungsanlage (PKA) Gorleben erteilt. 500 Millionen Mark haben die sechs größten bundesdeutschen Energieversorger seither in das Projekt gesteckt. In der PKA sollen alle Verfahrensabläufe durchgeführt werden, „die mit der Konditionierung von Brennelementen zum Zwecke der direkten Endlagerung und mit der Abfallbehandlung für die Zwischen- und Endlagerung zusammenhängen“, wie es in der ersten Teilgenehmigung heißt. Pro Jahr sollen maximal 35 Tonnen Brennelemente zerlegt werden, um die Brennstäbe dann in Endlagerbehälter zu verpacken. Nicht bei den Brennstäben, sondern nur bei den hochradioaktiven Abfällen spricht die grundlegende erste Genehmigung auch von einer Behandlung für die weitere Zwischenlagerung. Die Einrichtung der PKA bestimme vor, wo schließlich die Endlagerung des Atommülls stattfindet, befürchten ihre GegnerInnen.

Eben diese direkte Endlagerung von abgebrannten Brennelementen ist inzwischen in Gorleben in weite Ferne gerückt. Auch wenn der Endlagerstandort Gorleben durchgesetzt würde – vor 2030 soll nach derzeitigem Planungsstand kein hochradioaktiver Müll im Salzstock verschwinden. Die PKA soll allerdings 1999 in Betrieb gehen – jedoch mit anderen Aufgaben, als es die erste Genehmigung vorsah. Hans-Otto Willax, Geschäftsführer der Brennelementelager Gorleben (BLG) – jener GNS-Tochter, die die PKA und das Zwischenlager Gorleben betreibt, nannte 1996 auf der Jahrestagung Kerntechnik als weitere Zwecke der PKA den „Behälterservice für das Zwischenlager Gorleben“ und die „Optimierung der Zwischenlagerung.“ Um Platz im Gorlebener Zwischenlager zu sparen, will man nun die dort gelagerten Castor-Behälter nach einer gewissen Lagerzeit in der PKA öffnen und die in ihnen enthaltenen Brennelemente zerlegen. Anschließend sollen die Brennstäbe dichter gestapelt und für die weitere Zwischenlagerung erneut in Castor-Behälter verpackt werden. Um die Anlage den neuen Zwecken anzupassen, war die GNS schon beim Rohbau von den Plänen abgewichen.

Als im Jahre 1993 der PKA-Bau vorübergehend stillgelegt wurde und der PKA-Projektleiter seinen Hut nehmen mußte, wurden am Rohbau 25 nicht genehmigte Änderungen festgestellt. Für diesen von der GNS selbstverschuldeten Stillstand des Baus verklagte die Essener Gesellschaft das Land auf 15 Millionen Mark Schadenersatz.

Der Vertrag zwischen GNS und Landesumweltministerium sieht nun zunächst ein Ruhen und später ein völliges Zurückziehen dieser Schadenersatzklage vor, falls das Land bei der PKA-Betriebsgenehmigung und der Aufsicht über das Brennelementezwischenlager den Wünschen der GNS entgegenkommt. Beim Brennelementezwischen- oder Castor-Lager soll das Land künftig den Gorleben-Castor-Behältern binnen Wochenfrist die Einlagerungsfähigkeit bescheinigen. Außerdem nimmt das Umweltministerium mit dem Vertrag zur Kenntnis, daß die PKA „schnellstmöglichst zur Optimierung der Zwischenlagerung und zur Durchführung des Behälterservices genutzt wird“. Diese Änderung des Anlagenzwecks soll ohne ein neues atomrechtliches Genehmigungsverfahren erfolgen.

„Eigentlich braucht die GNS für den neuen Anlagenzweck auch eine neue Genehmigung“, meint Rechtsanwalt Geulen. Er verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, was eine genehmigunsbedürftige Änderung an einer Atomanlage sei. Das können Antragsteller und Genehmigungsbehörde nicht per privatrechtlichem Vertrag festlegen.