Harald und das Fischstäbchen

■ Authentisch und entspannt: Der Debütroman „Relax“von Alexa Hennig von Lange

Der Strich auf dem e und die bunten Bällchen auf dem Cover deuten es schon an: Relax, das Romandebüt der 24jährigen Hamburg-Berlinerin Alexa Hennig von Lange, steht im Zeichen von Ecstasy und anderen eingeworfenen Euphorien. Doch weit mehr als ein Rauschgiftroman ist das Buch durchweg ambivalent: Eine einfühlsame und ungeschönt-direkte Beschreibung des Jungseins in den 90ern, eine emanzipierte und selbstironische Analyse der Geschlechterdifferenzen drei Jahrzehnte nach 1968, und vor allem eine zugleich romantische und roh-realistische Liebesgeschichte.

Erzählt wird sie vom Protagonistenpärchen selbst. In zwei großen, inneren Monologen erfährt der Leser nacheinander das gleiche Geschehen: ein alltägliches drogenreiches Wochenende mit dramatisch-offenem Ende. Zuerst von dem bemüht coolen Chris, der von seinen Pillen ebenso abhängig ist wie von seinen Kumpels, den „Jungs“. Dann von seiner möchtegernemanzipierten Freundin, der „Kleinen“, die ihrerseits fataler an Chris klebt, als es ihrem vermeintlichen Freiheitsstreben gut tut.

Das Monologisieren ist jeweils geschickt verknüpft mit schnellen flüchtigen Dialog-Einsprengseln, und die Doppelperspektive liefert schöne Beobachtungen zweiter und dritter Ordnung, die manchmal traurig und anrührig, meist aber spaßig sind. Denn Relax ist auch ein unheimlich komisches Buch. Zwar steuert das Geschehen in einem infiniten Regreß aus Frustration und Trip einem tragischen Fluchtpunkt entgegegn. Der Weg dahin ist jedoch voller Situationskomik und obendrein verpackt mit einem Jugendjargon-Wortfluß, der unangestrengt wie authentisch wirkt und tabufrei die erratischsten Themen erörtert.

Neben Allerweltsdiskursen um Fischstäbchen, Zahnpasta etc. geht es vor allem um Sex. Man begrüßt sich charmant mit „Ficksau“und „Mösenbecken“, philosophiert über „Ratten“und „Muschi-Finger“, die „Kleine“verdingt sich mit dem Vibrator „Harald“und Chris unternimmt skurille Masturbationsversuche in der Badewanne.

Die „Ficksierung“ist Ausdruck eines unrelaxten und schon chronischen Unbefriedigtseins, das in Parallelwelten fliehen läßt. Chris träumt vom Rockstar-Dasein, die „Kleine“vom Auswandern nach „Amazonien“, von Heirat und Kindern in Las Vegas. Doch beide koexistieren vor allem im Drogennebel. Dahinter jedoch schimmert Verletzlichkeit und Fragilität. So wird Relax zum gelungenen, lakonischen und sensiblen Psycho- und Soziogramm eines postmodernen Protopärchens: „Wir sind einfach zwei verwandte Seelen. Beide auf dem Psycho-Abstellgleis. Zwei verlorene Kinder im Sturm. Das ist doch schön, oder?“

Christian Schuldt

Alexa Henig von Lange „Relax“, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1997, 310 Seiten