Wenn Tagebücher plaudern

■ Das Gericht verurteilt eine Prostituierte wegen Steuerhinterziehun, aber blieb dabei sanft

a kenne ich nicht wenige GmbHs, die 'ne schlechtere Buchführung haben.“Das kundige Lob kam gestern von einem Amtsrichter und galt zwei hellblauen „Tagebüchern“, in die Frau W. ihre Verdienste als Prostituierte und Managerin einer ,Modellwohnung' irgendwo am Dobben eintrug. Was motiviert einen Menschen, den Profit aus vielleicht nicht immer angenehmen Tätigkeiten minutiös – für die Ewigkeit? – festzuhalten? War es Sentimentalität, die Frau W. einen Zusammenstoß mit der Steuerbehörde bescherte? Eine Wohnungsdurchsuchung wegen Verdachts auf Förderung der Prostitution endete sozusagen in einem Fall von Wirtschaftkriminalität. Für die Jahre 1990 und 1991 muß die Ex-Prostituierte beachtliche 100.000 Mark Einkommensteuer, 20.000 Mark Gewerbesteuer und 92.000 Mark Umsatzsteuer nachzahlen: kompliziertes Steuerrecht. Die Hinterziehung wurde quittiert mit einem Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Da Frau W. vermutlich kein Fitzelchen vom einstigen Luxus blieb und sie sich heute mit einem 620-Mark-Job – diesmal im übertragenen Sinn – prostituieren muß, verzichtete man auf eine Geldstrafe. Ein Urteil, mit dem sich die Angeklagte glücklich zeigte.

„Großartig in den Lebenslauf einsteigen müssen wir wohl nicht“, meinte der Richter. Ein Grundverständnis für die Schwierigkeiten in der einschlägigen Branche ist da. Einzelheiten erspart man sich – und der Frau. Ein paar Tränen, vielleicht gespielt, wahrscheinlich echt, untermauern das Naturrecht auf Verständnis. Wie sich das Verhältnis zwischen Frau W. und ihren kräftig löhnenden Untermieterinnen gestaltete, interessiert hier nicht, nachdem man die Anklage wegen Förderung der Prostitution gnädig den Bach der Verjährung hinunterrinnen ließ. Ein zu weites Feld! Mit sympathiegetränkter Flapsigkeit bewegt sich Frau W.'s Pflichverteidiger verbal durch die Szene. „Von den Einnahmen gingen 50 Prozent weg an die Mädels. Das ist so üblich.“Dann an die Staatsanwältin gerichtet: „Nicht, daß Sie sich gleich aufregen, wenn ich ,Mädels' sage. Das ist nicht als Diskriminierung gemeint.“Staatsanwältin: „Das nehme ich jetzt mal so hin.“Ohne böse Hintergedanken plappert er munter von seiner Mandantin als Wesen ohne Namen. „Heute, da heult die, jederzeit“– und wedelt Frau W. mit demonstrativem Finger zehn Zentimenter vorm Gesicht: Eine zoologische Vorführung von einem Brocken Elend für strafmindernde Zwecke. Gerichtsalltag eben.

Generell hat sich der Umgang mit Prostitution entspannt. Werner Meyer, Pressesprecher der Polizei, akzeptiert sie als „notwendigen Bestandteil unserer Gesellschaft“. „Ging es früher bei der ,Sitte' ums Überwachen, so begreifen wir uns heute als Anwälte der Prostituierten.“Sinnlose Schikanen wie das Melden eines Ortswechsels bei der Polizei sind entfallen. Auch die ärztliche Kontrolle funktioniert heute auf freiwilliger Basis. Bei Aids-Diagnosen setzen die Gesundheitsämter auf Überzeugungsarbeit statt Verbot: nützen würde es eh nichts.

Den gerade mal fünf zuständigen Polizeibeamten bleibt sowieso nichts anderes, als „Schwerpunkte zu setzen“. Einer liegt seit 1989 auf der Verfolgung von „schwerem Menschenhandel“. Circa acht Fälle gingen dieses Jahr vor Gericht, außerdem rund zehn wegen Förderung der Prostitution und zehn wegen Zuhälterei. Aber auch hier lernte man abzuwägen. Nicht jedes Verhältnis zwischen Protituierter und Zuhälter wird kriminalisiert. Bleibt nur noch, daß der Gesetzgeber nachzieht und die einstige Schande zum Beruf erklärt. Dann käme der Staat auch leichter zu seinen Steuern, nicht nur, wenn Tagebücher ausplaudern. bk