■ Make a Living
: Dilemma: Zuwanderung und Stadtentwicklung in Berlin

Die Integration von Zuwanderern aus dem — hauptsächlich osteuropäischen — Ausland wird in den nächsten Jahrzehnten zu einem immer wichtiger werdenden Element von Stadtentwicklungspolitik. Die städtische Politik gegenüber Ausländern steckt jedoch in dem Dilemma, einerseits mit wachsenden Ausländerzahlen umgehen zu müssen beziehungsweise deren langfristige Integration sogar fördern zu wollen, andererseits aber keine wirkliche Einwanderungspolitik betreiben zu können. Dies wird augenfällig am Beispiel der Politik, die gegenüber der räumlichen Konzentration von ausländischen Bürgern betrieben wird. Das gut Gemeinte an dieser Strategie ist, daß keine Ghettos der Benachteiligung entstehen sollen – der Irrtum daran ist, daß die Benachteiligung geringer sei, wenn sie nicht so gut sichtbar ist.

Der Versuch der Vermeidung von Ausländerkonzentration geht außerdem davon aus, daß die Integration in Ökonomie und Kultur des aufnehmenden Landes besser gelinge, wenn eine individuelle Integration angestrebt wird, wenn also die Individuen sich möglichst rasch aus iher mitgebrachten Kultur lösen und sich anpassen oder assimilieren. Das dürfte ein zweifacher Irrtum sein: Zum einen vollzieht sich die Integration in den Arbeitsmarkt, wie man aus der Erfahrung von Einwanderungsländern (wie den USA) weiß, über kollektive Prozesse. Bestimmte Segmente des Arbeitsmarktes stehen Zuwanderern eher offen als andere, und über diese finden sie Zugang zum Arbeitsmarkt, weil ihnen Informationen von Angehörigen ihrer ethnischen Gruppe vermittelt werden. Die Einbindung in die sozialen Netze der ethnischen Community ist also eine wichtige Voraussetzung für die Individuen. Zum anderen zeigt die Forschung über die Biographien von Zuwanderern, daß auch in den Ländern, wo die Einwanderung bewußt gefördert und entsprechende Eingliederungshilfen organisiert werden, Einwanderer im Durchschnitt erst nach zehn Jahren einen sozio-ökonomischen Status erreichen, der dem Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung gleichkommt.

Damit ist das Dilemma perfekt: Die Großstädte sind auf Zuwanderung angewiesen, die Zuwanderer sollen aber die real existierende Gemütlichkeit nicht stören, weshalb sie keine sichtbaren Konzentrationen bilden düfen. Ethnische Gemeinschaften wären jedoch eher in der Lage, mittellose Zuwanderer aufzufangen und auf ihrem Weg in eine gesicherte Existenz in der Stadt zu begleiten. Dafür müßten sie eine entsprechende Infrastruktur aufbauen und öffentliche Zuschüsse effektiv und autonom für selbstbestimmte Zwecke verwenden können. Diese Viertel und Kolonien wären Orte der Fremdheit für die Eingesessenen, aber Orte der Eingewöhnung und des Übergangs für die Fremden. Solche Orte hätten ihre eigenen Regeln (nicht nur bei den Ladenöffnungszeiten) und ihre eigenen Normen, sie würden sich aber, um ökonomisch erfolgreich zu sein, gegenüber der Stadt öffnen und diese bereichern.

Angesichts der gewandelten Migrationsformen und neue, weniger lokal gebundener Netzwerkbildung ist jedoch die Bildung ethnischer Kolonien unter Umständen nicht das Hauptproblem der Zukunft der Städte. Vielleicht müssen sich die Städte auf eine noch mobilere Bevölkerung als bisher einstellen. Pendelexistenzen brauchen Orte für zeitweiligen Aufenthalt, sie bilden Lebensstile aus, die im direkten Gegensatz zur bürgerlichen Seßhaftigkeit im Einfamilienhaus stehen. Für einen solchen Lebensstil sind die Städte jedoch immer weniger geeignet, je mehr und je größere Teile der Innenstädte zu Einkaufs- und Erlebniszentren des gehobenen Konsums umgebaut werden. Die Räume für eine Bevölkerung, die nur eine höchst partielle Integration anstrebt, werden dadurch verengt und zwangsläufig konzentriert und verdichtet.

Unter den bestehenden Rahmenbedingungen bewegt sich die Stadtpolitik nur von einem Dilemma zum anderen. Diskriminierung wird systematisch erzeugt, wiksame Selbsthilfe systematisch unterbunden. Die kulturellen und ökonomischen Potentiale, die mit der Zuwanderung verbunden sind, werden in der Regel erst im historischen Rückblick anerkannt.

Eine zukunftsorientierte Stadt kann allerdings nicht nur in den Sonntagsbeilagen ihrer Tageszeitungen weltoffen sein. Zu den wichtigsten Elementen der Großstadtpolitik im Europa am Ende des 20. Jahrhundets gehört, für Zuwanderer mit der Bereitstellung noch nicht ein für alle mal funktional definierter Räume das möglich zu machen, was im Englischen so schlicht heißt: Make a Living.

Stark gekürzter Aufsatz von Hartmut Häußermann, Stadt- und Regionalsoziologe, Professor der Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin.

Türkische Immigranten in Berlin Foto: David Hornback