In Chiapas mordet jetzt die „Rote Maske“

In dem südmexikanischen Bundesstaat haben nun paramilitärische Banden die Rolle der Armee übernommen. Mit stillem Einverständnis der Regierungspartei ermorden sie Anhänger der Zapatisten  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

In Chiapas wird wieder geschossen. Doch diesmal geht die Gewalt in den südmexikanischen Bundesstaat nicht von Regierungstruppen oder Zapatisten aus, sondern von paramilitärischen Banden. Nach Schätzungen der linken Oppositionspartei PRD fallen in Chiapas pro Woche rund 15 Menschen politisch motivierter Gewalt zum Opfer. Bisheriger Höhepunkt war letzte Woche die Ermordung von Mitgliedern ziviler Basisgruppen der Zapatistenguerilla EZLN in der Gemeinde Chenalhó.

Nach Angaben des autonomen Gemeinderates von Chenalhó waren vor einer Woche in dem von der Volksgruppe der Tzotzil bewohnten Dorf Aurora Chica rund dreißig Maskierte mit Maschinengewehren auf Sympathisanten der EZLN losgegangen. Auf der Flucht vor den Angreifern, die BewohnerInnen als Mitglieder der berüchtigen Bande „Máscara Roja“ (Rote Maske) identifizierten, seien sechs Menschen erschossen worden. Die mexikanische Presse berichtete zudem, Mitglieder der „Roten Maske“ hätten mehr als 50 Hütten von EZLN- Unterstützern in Brand gesteckt.

Die Justizbehörden in Chiapas bestätigten zunächst „nur“ zwei Todesopfer. Die beiden Frauen, deren Leichen teilweise verstümmelt waren, seien offensichtlich einer „dorfinternen Auseinandersetzung“ zum Opfer gefallen. Am nächsten Tag gaben die Behörden dann die Bergung zweier weiterer Leichen bekannt: Diesmal waren die Opfer zwei Jugendliche, 13 und 14 Jahre alt. Über einen etwaigen politischen Hintergrund der Morde könnten „keine weiteren Aussagen“ gemacht werden.

Dabei gilt Chenalhó schon seit einiger Zeit als eine der explosivsten Regionen des Bundesstaates. Traditionell wird der Gemeindebezirk von einer einzigen Gruppierung regiert, die seit Jahrzehnten mit der Staatspartei PRI verbündet ist. Vor einiger Zeit haben zapatistische Basisgruppen einen parallelen „autonomen Gemeinderat“ gegründet, der heute von der Hälfte aller Dörfer im Umkreis von Chenalhó anerkannt wird. Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Regierungspartei PRI und der zapatistischen Basis sind allein in den letzten zwölf Monaten 29 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 500 Familien aus ihren Dörfern vertrieben worden.

Mindestens sieben paramilitärische Gruppen sollen im Hochland und im Norden von Chiapas aktiv sein. Sie bestehen zumeist aus ehemaligen Polizisten oder Soldaten und den sogenannten Weißen Wachen der Großgrundbesitzer. Ihre Waffen stammen häufig aus Armeebeständen. Politisch unterstützt werden sie – mehr oder weniger diskret – von der PRI.

Von Verhaftungen oder gar Prozessen gegen die paramilitärischen Gruppen ist bis heute nichts bekannt. „Man muß wohl sagen, daß sie faktische Straffreiheit genießen“, räumt ein leitender Funktionär der staatlichen Menschenrechtsorganisation CNDH ein.

Straffrei ausgegangen sind bislang auch die Schützen, die am 4.November den Autokonvoi von Bischof Samuel Ruiz, dem Vorsitzenden der Diözese von San Cristóbal de las Casas attackierten. In der Abenddämmerung waren die Fahrzeuge von Ruiz und seinem Koadjutor Raúl Vera López sowie einer Gruppe indianischer Katechisten aus einem Hinterhalt beschossen worden. Die beiden Geistlichen blieben unversehrt, doch drei ihrer Begleiter wurden verletzt. Die Diözese erstattete Anzeige gegen die Bande „Paz y Justicia“ (Frieden und Gerechtigkeit), die unter der Leitung des lokalen PRI-Abgeordneten Samuel Sanchez gegen den „roten Bischof“ agitiert.

Die katholische Kirche sei heute „zur wichtigsten Zielscheibe“ geworden, meint der Sprecher der Diözese, Gonzalo Ituarte. Zwei Tage nach dem Attentat wurde in San Cristóbal die Schwester des Bischofs von einem Mann mit einem Hammer niedergeschlagen. Der Angreifer sagte später aus, er habe eigentlich Bischof Samuel Ruiz treffen wollen, weil dieser „die Indios ausbeutet“.

Als Vorsitzender der Nationalen Vermittlungskommission CONAI gilt „Don Samuel“ als Schlüsselfigur im Verhandlungsprozeß mit den Zapatisten. Doch seit die EZLN die Gespräche im September 1996 abgebrochen hat, gibt es in dem Konflikt nichts mehr zu vermitteln. Zentraler Streitpunkt sind die Abkommen von San Andrés über „indigene Rechte und Kultur“. Deren Unterzeichnung war als „großer Schritt in Richtung Frieden“ gefeiert, die Vereinbarungen jedoch nie in ein Gesetz umgesetzt worden.

Auf einen von den Zapatisten akzeptierten Kompromißvorschlag der staatlichen Verhandlungskommission COCOPA reagierte Präsident Zedillo mit einer Gegeninitiative. Darin werden die ausgehandelten Autonomierechte indigener Gemeinden und Regionen wieder wesentlich eingeschränkt. Die EZLN lehnte den präsidialen Vorschlag als „schlechten Witz“ ab. Der neu ernannte Chefunterhändler der Regierung, Pedro Joaquin Coldwell, gibt sich vage: Die Regierung sei „nach wie vor zu Verhandlungen bereit“ und warte auf ein „Zeichen der EZLN“. Doch die Zapatisten sehen dazu keinen Anlaß. Der Attentatsversuch auf Ruiz, so heißt es in einem knappen Kommuniqué, sei ein „klares Signal“ an die EZLN gewesen: „Keine Vermittlung, kein Dialog, kein Frieden.“