Berliner Koalitionsspiele

Die SPD-Finanzsenatorin Fugmann-Heesing steht unter Druck, seitdem die Partei ihren Spielraum einengte  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Der Tag nach der Niederlage begann mit einer Grippe. Annette Fugmann-Heesing, Berliner Finanzssenatorin, mußte sich mit Fieber ins Bett legen. Wenige Stunden zuvor hatten die Genossen der 42jährigen arg zugesetzt. Da hatte es nichts genützt, daß der Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki den Parteitag beschworen hatten, auf Kurs zu bleiben. Eine knappe Mehrheit der SPD-Delegierten wollte nicht mehr.

Zumindestens nicht so, wie es sich Fugmann-Heesing erhofft hatte. Keine völlige Privatisierung der Wasserbetriebe und kein totaler Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften – das war die Botschaft, die vor zehn Tagen von einem Teil der Basis ausging und an der die Partei nun schwer schleppt. Fugmann-Heesing ist mittlerweile ihre Grippe los, das Problem aber ist geblieben: Wie sollen im nächsten Jahr 5,8 Milliarden Mark durch Verkäufe in die chronisch leere Landeskasse fließen? Der Parteitag war ein Sieg der Linken, lautet der Tenor in den Medien. Doch so rechte Freude will dort nicht aufkommen. „Wir müssen aufpassen, daß wir die Partei des sozialen Ausgleichs bleiben“, sagt Klaus-Uwe Benneter, stellvertretender Landesvorsitzender. Sozialdemokraten dürften eben nicht „Vollstrecker und nützliche Idioten bei der Durchsetzung von CDU/FDP-Programmatik sein“. Der Prozeß, den Fugmann-Heesing angestoßen hat, verstört die Partei. Nicht alle sind so unzufrieden wie Benneter. Seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr 1996 habe in der SPD „ein Häutungsprozeß begonnen. Was haben wir nicht alles schon über Bord geworfen“, sagt etwa der SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller.

In der Tat: Die Bilanz von Fugmann-Heesing kann sich sehen lassen. Die Energieversorger Bewag wurde verkauft, für die Gasgesellschaft Gasag läuft ein Bieterverfahren. Der rasante Aufstieg der Juristin, die Fraktionschef Böger im Frühjahr 1996 aus Bielefeld geholt hatte, blieb vielen lange ungeheuer. Da traf es sich für manche Widersacher gut, daß das Image der Senatorin ein paar Kratzer erhielt, als im Spätsommer der günstige Verkauf eines landeseigenen Grundstücks an den ehemaligen Turnierreiter Paul Schockemöhle ruchbar wurde. Daß dabei Fugmann-Heesing offenbar von der eigenen, in Teilen der CDU nahestehenden Verwaltung umgangen worden war, war da schon eine Nebensächlichkeit. Der Senatorin wird vor allem übelgenommen, mit der jahrzehntelangen Berliner Mauschelei gebrochen zu haben. Schon nach wenigen Monaten hatte sie sich als harte Verhandlungsführerin Respekt verschafft. Und viel Ärger, der nicht nur auf die CDU beschränkt blieb. Auch SPD-geführten Ressorts ordnete sie einen Sparkurs an. Nicht zuletzt ihr Verhältnis zur Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit, die vor zwei Wochen in den rot-grünen Senat nach Hamburg wechselte, wurde mit der Zeit frostiger, heißt es im Senat.

Die Nadelstiche gegen Fugmann-Heesing werden von der CDU aufmerksam registriert. „Die Partei hat sie auf den Boden der Realität zurückgeholt“, sagt Parteisprecher Matthias Wambach. Das Frohlocken über die Beschlüsse der SPD ist verständlich, hatten sich doch die Christdemokraten jüngst mit einem schwammigen Beschluß zur Reduzierung der Zahl der Berliner Bezirke aufs kräftigste blamiert. Plötzlich ist in diesen Tagen wieder ein Wort zu vernehmen, das Fugmann-Heesing einst bei ihrem Regierungsantritt im Frühjahr 1996 auf den Index hatte setzen lassen: Nettoneuverschuldung. Die jüngsten Steuerausfälle von 550 Millionen Mark haben die Berliner Malaise weiter verschlechtert. Mit einmal droht ihr Plan ins Wanken zu geraten, die Schuldenaufnahme bis Ende nächsten Jahres auf 4,8 Milliarden abzubauen und zu begrenzen.

In diesen Tagen wird, vorsichtig und verklausuliert, ein möglicher Kurswechsel angedeutet. Den vorläufigen Schlußpunkt setzte am Wochenende der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in einem Interview. Einerseits stellte er sich demonstrativ hinter die Finanzsenatorin, andererseits schloß er eine erhöhte Nettoneuverschuldung nicht mehr gänzlich aus: „Die Umstände können sie erzwingen, ich möchte sie vermeiden“, lautet seitdem die Formel des Christdemokraten.

Selbst in der SPD scheint man Vorsicht walten zu lassen. „Wir wollen an der Rückführung festhalten, aber ob wir es können, werden die Detailgespräche mit der CDU in den nächsten Wochen zeigen“, sagt Fraktionssprecher Stadtmüller. Der Zeitrahmen ist eng – Mitte Dezember soll der Haushalt 98 verabschiedet werden. Trotz gelegentlicher Geplänkel – an der Großen Koalition will keiner rütteln. Benneter hat zwar eine „Stimmungslage für Rot-Grün“ ausgemacht, an einen Ausbruch glaubt selbst er nicht. Selbstbewußt gibt sich CDU-Sprecher Matthias Wambach: Die Regierung werde bis 1999 halten. Ein Umschwenken der SPD auf Rot-Grün, womöglich mit Hilfe der PDS, sei vor der Bundestagswahl ausgeschlossen. „Solch einen strategischen Fehler“, sagt Wambach süffisant, „traue ich selbst der Berliner SPD nicht zu.“