Ein bißchen Zuspruch und Liebe vom Seelenheiler

■ Erfolgreiche Psychotherapeuten richten sich heute nach den Bedürfnissen ihrer Patienten

Seit zweieinhalb Jahren macht Petra eine Psychotherapie. Und jetzt erst fühlt sie sich „so richtig beschissen. Ist das der richtige Weg?“ fragt sie in einer virtuellen Diskussionsgruppe im Internet. Muß diese Depression sein, damit es ihr am Ende besser geht? Nein, würde der Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe sagen. Patienten, die sich nach einem halben Jahr Behandlung nicht besser fühlen, meint er, „tun gut daran, den Therapeuten zu wechseln“. Grawe und andere Therapieforscher sind längst zu einer sehr pragmatischen Sichtweise der Seelenbehandlung gekommen: Gut ist, was hilft.

Eine von den Kassen bezahlte Therapie bietet daher nicht unbedingt die Garantie, beim „richtigen“ Therapeuten mit der „richtigen“ Methode angelangt zu sein. Die Kassen zahlen erstens nur bestimmte Verfahren, und zweitens wird nirgendwo kontrolliert, ob der Behandler und seine Methode zum Patienten passen.

„Das Prinzip der Einzelpraxen führt leider oft zu einer Fehlversorgung“, sagt Paul Lubecki, zuständiger Fachreferent bei der AOK. „Am besten wären Gemeinschaftspraxen mit verschieden qualifizierten Therapeuten, in denen jeder Patient die Behandlung bekommen kann, die für ihn am besten geeignet ist.“ Die Therapieschwerpunkte seien viel zu oft nicht an den Patienten ausgerichtet, sondern an den Überzeugungen und Vorlieben der Behandler, bemängelt auch Grawe. Der umstrittene Forscher erstellte aus mehreren Wirksamkeitsforschungen eine umfassende Metastudie.

Die traditionelle Psychoanalyse, von manchen Analytikern selbst als „Rolls-Royce“ der Therapien beweihräuchert, ist laut Grawe keineswegs immer die beste Behandlung, die ein Patient bekommen kann. Allzu oft passiere es, daß beispielsweise Patienten mit einem psychosomatischen Magenleiden in eine langwierige Psychoanalyse geschickt werden, obwohl diesen Patienten eher Entspannungsmethoden oder konkrete Verhaltensänderungen helfen. „Therapie ist auch eine Frage der Bildungsschichten. Manche bekommen mehr Therapie, als sie bräuchten, andere wiederum zuwenig“, sagt Lubecki von der AOK.

Entscheidend für den Erfolg sei „eine gute Therapiebeziehung“, betont Grawe. Mit der therapeutischen Zuwendung in der Gesprächspsychotherapie etwa, die viele Kassen nicht bezahlen, lassen sich laut Grawe auch „gute Ergebnisse“ erzielen. Schon der Anti- Psychiater David Cooper empfahl, sich den Seelenheiler sorgfältig nach dem eigenen „guten Gefühl“ auszusuchen. US-Studien ergaben, daß Therapieerfolge weniger von der Methode als von der Persönlichkeit des Behandlers abhängig sind, also von dessen Einfühlung und Konfrontationsfähigkeit.

In erfolgreichen Therapien herrschen laut Grawe vier „Wirkprinzipien“. Dazu zählt die „Ressourcenaktivierung“, das heißt, ein Behandler sollte die vom Patienten mitgebrachten Stärken und Eigenarten positiv unterstützen und nicht ständig nur über dessen Defizite reden. Patienten sollten ihre Probleme in der Therapiesituation möglichst real wiedererleben. Für Schwierigkeiten mit der Familie eignet sich daher die Familientherapie, für Platzängste der Gang durchs Kaufhaus, für Beziehungsängste die Übertragung zum Analytiker.

Die Behandler sollten die aktive Bewältigung auf die Hilfesuchenden zuschneiden, etwa im Selbstsicherheitstraining für Schüchterne, in den konkreten Kommunikationstricks in der Paartherapie. Außerdem müsse der Behandler den Patienten helfen, ihre Symptome zu verstehen, die ja auch eine bestimmte Funktion haben können, so fordert Grawe.

In vielen „Psychoanalysen“ über 200, 300 Stunden hinweg wird ohnehin längst nicht mehr nach einer bestimmten Methode gearbeitet. Oft ist der Therapeut längst zum Lebens- und Identitätshelfer geworden, mit Zuspruch, Konfrontation und Kindheitserforschung. Der US-Filmemacher Woody Allen mit seiner jahrzehntelangen Therapiegeschichte ist dafür ein prominentes Beispiel. Diese seelische Hilfe ist nach Kassenkriterien ein „Mißerfolg“, vielleicht aber für den Patienten eine dauerhafte Überlebens- und Kreativitätshilfe. Wie sagte doch Freud: „Es kommt darauf an, aus neurotischem Elend normales Unglück zu machen.“ Inwieweit die Versichertengemeinschaft solche jahrelange Begleitung bei Selbsterkenntnis und Identitätsfindung bezahlen kann und soll, ist allerdings eine andere Frage.