Grüne auf Nummer Sicher: Frieden mit der Nato

■ Neuer Entwurf für das Wahlprogramm soll die Partei regierungsfähig machen. Passage zur Auflösung der Nato entschärft. Dafür darf Spritpreis auf fünf Mark steigen

Bonn (taz) – Bei den Grünen zeichnet sich ein außenpolitischer Kurswechsel ab. Im überarbeiteten zweiten Entwurf des Wahlprogramms wird ausdrücklich betont, eine „grundlegende Neuorientierung der Sicherheitspolitik“ stelle „ein langfristiges Projekt“ dar, „das weit über den Horizont einer Regierungsperiode hinausweist“. Ein „einseitiger Austritt aus der Nato“ wird abgelehnt, „weil er den internationalen Dialog zerstören und – historisch begründete – Ängste vor einem deutschen Sonderweg schüren würde“. Mit diesen Formulierungen soll offenbar Streit zwischen den verschiedenen Strömungen der Partei vermieden und der auf dem Delegiertenkongreß begonnene Kurs der Einigung fortgesetzt werden.

Über den ersten Programmentwurf war im Oktober eine heftige parteiinterne Kontroverse ausgebrochen. Sie gipfelte im Vorwurf der „Regierungsunfähigkeit“, der aus den eigenen Reihen erhoben wurde. Die jetzt vorliegende Neufassung zeugt vom Wunsch führender Repräsentanten in Partei und Fraktion, sich im Wahlkampf geschlossen zu präsentieren.

Allerdings ist auch der zweite Entwurf noch nicht die endgültige Fassung. Seit gestern diskutiert der Bundesvorstand in Bonn über das neue Papier. Schon jetzt zeichnet sich jedoch ab, daß im Dezember weitere Beratungen stattfinden müssen. Durch viele Änderungsvorschläge und Anträge sei der neue Entwurf „viel länger“ und „eher unleserlicher“ geworden als die erste Fassung, erklärte Parteisprecher Jürgen Trittin am Rande der Klausurtagung: „Die Arbeit der Zuspitzung müssen wir jetzt erneut leisten.“

Die große Linie läßt sich dennoch schon ablesen. Die Grünen bemühen sich um Kompromisse. Gestrichen wurde der umstrittene Satz: „Bündnis 90/Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen.“ Auch das im ersten Entwurf formulierte Ziel der „Entmilitarisierung der Politik – bis hin zur Abschaffung der Armeen und zur Auflösung der Nato“ liest sich jetzt zurückhaltender: „Unsere langfristig angelegte antimilitaristische Strategie zielt darauf ab, die bisherigen Militärbündnisse und nationalen Armeen in eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufzulösen.“ Friedenspolitik könne „nur im Dialog mit Freunden und Partnern“ umgesetzt werden.

Umstritten ist bei den Bündnisgrünen die Position zur Nato-Osterweiterung. Im ersten Programmentwurf wurde sie mit der Begründung abgelehnt, „die Chancen für eine schnelle Überwindung des Erbes der militärischen Blockkonfrontation“ seien damit „verspielt worden“. In der neuen Fassung wird zum Thema nicht eindeutig Stellung bezogen: „Wir sind der Auffassung: europäische Sicherheit kann es nur mit Rußland und nicht gegen Rußland geben.“ Erhalten bleibt im Programmentwurf die Kritik an der Nato- Doktrin sowie Forderungen nach einer Stärkung der OSZE, nach Abrüstung und nach einer Reduktion der Personalstärke der Bundeswehr auf rund 150.000 Soldaten innerhalb von vier Jahren. In der Diskussion um die Mineralölsteuer wird ein Benzinpreis von fünf Mark nicht mehr nur erwähnt, sondern wieder als Zielgröße genannt. Doch versuchen die Autoren des Entwurfs, sich abzusichern. „Die Boulevardpresse“ habe die Öffentlichkeit in der bisherigen Diskussion fehlgeleitet. Der Benzinpreis von fünf Mark werde bei der von den Grünen geplanten regelmäßigen Erhöhung um jährlich 30 Pfennig „erst in elf Jahren“ erreicht. Die Bündnisgrünen weisen explizit darauf hin, daß selbst der Umweltbeirat der Regierung Kohl diese fünf Mark für den Liter Sprit schon gefordert habe. Mit dem Geld soll auch der Ausbau des Bahnverkehrs finanziert werden. Das ursprünglich genannte Ziel einer Vervierfachung des Bahnverkehrs fehlt allerdings im neuen Entwurf.

Der Auftakt der Programmdebatte stand gestern unter keinem glücklichen Stern. Eigentlich wollte der Parteivorstand mit führenden Intellektuellen über die Präambel des Entwurfs diskutieren – aber Jens Reich, Günter Grass und Christoph Schlingensief sagten ab. Gekommen war Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza und der Friedensforscher Andreas Buro. Auch parteiintern gab's Terminprobleme. Vom Fraktionsvorstand konnten nur Kerstin Müller und Werner Schulz kommen. Joschka Fischer entschuldigte sich mit Hinweis auf die Haushaltsdebatte im Bundestag. Bettina Gaus