Foltern zum Guten

■ „Blue eyed“: Dokumentarfilm über das Faschismusexperiment „The Wave“

Es gibt Menschen, die zahlen auch noch Geld dafür, mal so richtig unterdrückt und ordentlich zusammengestaucht zu werden. Es sind Amerikaner. Allerdings ist es ein Deutscher, der ihnen seine Aufmerksamkeit schenkt. Bertram Verhaag fiel schon vor Jahren auf durch seine formal ausgefeilten Pamphlete auf Zelluloid gegen die WAA Wackersdorf. Auch in seinem Film „Blue eyed“argumentiert er nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern benutzt auch ästhetische Mittel zum Erschließen von Sachverhalten. Und so beginnt sein Film über die mutige Lehrerin Jane Elliott nicht wie gewohnt mit trockenen Fakten, sondern mit romantisch-sentimentalen Inkunabeln des land of freedom and exploitation – Schuhputzern und nächtlich-schummrige Neonreklame, in lockerer Schnittfolge, dahinter satt-schlurfiger Blues: Verstehen ohne emotionale Beteiligung ist nicht möglich! Eine These, der Jane Elliott ein ganzes Leben widmete.

Angeblich war es der Tag, an dem Martin Luther King ermordet wurde, als sie den Entschluß zu einem Experiment faßte, das unter dem Namen „The Wave“, die Welle, eine ganze Generation mindestens ebenso beeindrucken sollte wie das Milgram-Experiment, jenes Spiel mit den freiwillig verteilten Stromschlägen. Ihre Schulklasse unterteilte sie in zwei Gruppen, die Blauäugigen und die Braunäugigen. Die einen wurden für minderwertig postuliert, die anderen für überlegen. Warum?: Bei Blauäugigen arbeitet sich das Licht ungehindert ins Gehirn vor und richtet dort Verwüstungen an. „Glauben Sie nur ja nicht, daß die Begründungen irgendwelcher Unterdrücker, zum Beispiel der Nazis, auch nur einen Hauch intelligenter wären.“Es sollte denn auch ein Hauptanliegen des Experiments sein, wie schäbig-simpel Ausgrenzung funktioniert. Keine Brave New World, die auf komplizierte Manipulationsinstrumente angewiesen wäre. Es genügt zu befehlen, zu verachten, Gleichgültigkeit an den Tag zu legen, zu beschimpfen, solange man die Macht auf seiner Seite hat. Und bald geht es der einen Gruppe unheimlich gut, die andere schrammt hart am psychischen Verfall vorbei.

Aus dem Experiment der 60er Jahre wurden Selbsterfahrungsseminare. Heute zeigt Jane Elliott erwachsenen Menschen gegen Cash, wie sich ausgestoßene Menschen im allgemeinen, Schwarze im besonderen in Amerika fühlen müssen. Mit bemerkenswerter Disziplin tritt sie ihrer Klientel zweieinhalb Stunden lang als versteinerter, böser Dämon gegenüber, der die Blauäugigen systematisch outet als faul, blöde, lächerlich und unmoralisch. Eine Härte, der sich der Film mit bemerkenswerter Geduld ergibt, die er allerdings in regelmäßigen Intervallen durch poetische Sequenzen, Erinnerungen, Interviews unterbricht.

Die freiwilligen Opfer ihrer seelischen Kurzzeitfolter fragt Elliott immer wieder, ob sie wissen von der Rassendiskriminierung in Amerika. Nach allseitiger Bejahung kommt dann die naheliegende Unverschämtheit: „Warum tun Sie dann nichts dagegen?“Für Elliott gibt es eine riesengroße Kluft zwischen theoretischem und erfahrenem Verstehen. Nur das zweite kann handlungsrelevant werden. Und Elliott will es ihren Kunden verpassen. Ein bißchen schließt sich die Kluft auch für die Betrachter des empfehlenswerten Films! Barbara Kern

Im Cinema mindestens eine Woche, täglich 19 Uhr