Freundin Mel liebt nicht nur ihn

Klarer Fall, es liegt in der Familie, der Bruder der Schwangeren ist schwul: Das Schwul-Lesbische Filmfest, im letzten Jahr arg geschrumpft, ist heuer wieder gut besetzt, doch insgesamt ein wenig Mainstream-lastig  ■ Von Andreas Hergeth

Die gute Nachricht zuerst: Nachdem im letzten Jahr das Schwul-Lesbische Filmfest fast von der Bildfläche verschwunden war, ist es im Jahre sieben seiner Existenz ganz „verzaubert“: neuer Name, neues Gewand, neue Strategie. Aber das alte Lied: Die Mehrzahl der insgesamt 67 gezeigten Filme kommt aus den USA. Dafür werden größtenteils Erstaufführungen und deutsche Premieren serviert.

Das Festival tourt erstmals durch fünf deutsche Großstädte. Beginnend in München, werden die Programme in Stuttgart, Frankfurt und Köln gezeigt. Und seit gestern abend eine Woche lang in vier Berliner Kinos. Dieses „An- einem-Strang-Ziehen“ hat seine Vorteile: Die Organisation wird billiger, Großeinkäufe werden möglich. Schlichtweg unmöglich ist nur die Auswahl: schwul-lesbischer Mainstraim eben. Meist klasse gefilmt, aber ein bißchen auswechselbar. Nach dem dritten Coming-out-Film stellt sich Unbehagen ein. Irgendwie hat man das schon alles gesehen. Wo bleibt der Mut zu mehr Underground, zu unkonventionellen Filmen?

Mit „The Domm Generation“ von Gregg Araki wurde das Festival gestern abend im Delphi eröffnet. Araki hat ein völlig durchgeknalltes Porträt der Jugend von Los Angeles gedreht. Er konfrontiert sein Publikum mit einen wahren Bilderflut. Mit Lust an maßloser Überstilisierung, Kitsch, Sex und exzessiver Gewalt. Er erzählt einen Thriller, in dessen Mittelpunkt die gelangweilte 17jährige Amy steht. Sie ist mit dem Schönling Jordan zusammen. Dann kommt ein umwerfend geiles Kerlchen daher, dem beide nicht widerstehen können. Ein bißchen bi schadet halt nie. Nur lustig irgendwie, daß der Eröffnungsfilm kein ausgesprochener Queer-Film ist. Im Gegenteil. Araki selbst nannte die 1995 gedrehte „Doom Generation“ sein erstes „heterosexual movie“, etwa so wie Philadelphia.

Ganz schwul und richtig lesbisch ist dafür sein Film „Nowhere“ (1997) geworden. Den 18jährige Dark (Schwulenliebling James Duval) plagen Weltuntergangsvisionen. Freundin Mel liebt nicht nur ihn, sondern auch ihr Girlfriend. Da paßt es, daß Dark einen Jüngling namens Montgomery kennenlernt und sich verknallt. Doch Pustekuchen: Der Angebetete wird von Aliens entführt... Alles flott verpackt, ein bißchen New Age, ein bißchen Pop, ein bißchen Punk – und sehr unterhaltsam.

Typischer Mainstream, in dem sich Schwule nicht richtig küssen dürfen, ist „Twilight of the Golds“. Aber nicht nur wegen der einfach umwerfenden Faye Dunaway lohnt der Film doch, denn er greift ein vieldiskutiertes Thema auf: Ein Ehepaar erwartet einen Sohn. Der Papa läßt die genetischen Anlagen abchecken. Alles bestens, nur wird das Kind mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit schwul. Klarer Fall, es liegt in der Familie, der Bruder der Schwangeren ist schwul. Der werdende Vater plädiert für Abtreibung. Wo sind die Grenzen der Gentechnik? Ist es vertretbar, ungeborene werdende Lesben, Schwule, Behinderte, Diabetiker oder Kurzsichtige abzutreiben?

Ein weiterer filmischer Leckerbissen dürfte der erste chinesische schwule Film „East Palace, West Palace“ sein, der in seinem Urspungsland nie gezeigt wurde. Er erzählt von der Liebe zwischen zwei Männern.

Die Lesbenfilme, fast alle made in USA, kommen als Coming-out- Komödie oder als Thriller daher. Gespannt sein darf frau auf „Work“ von Rachel Reichman. Ein Film, der eine beeindruckende Authentizität entfaltet. Durch die harten Dialoge und die intensive Filmsprache wird „Work“ zu einem realistischen Film über die Liebe zwischen zwei Frauen in einer trostlosen amerikanischen Kleinstadt.

Eine der schönsten Geschichten über sexuelles Erwachen ist „All over me“ von Alex Sichel. Leider läuft der Film nur zweimal. Überhaupt ist es ein Manko, daß viele Festivalbeiträge nur ein- bzw. zweimal gezeigt werden. So wie „Jaded“ von Caryn Krooth, der ein Tabu behandelt: Eine junge Frau wird zusammengeschlagen und vergewaltigt. Das Verbrechen begingen zwei Frauen.

Aus Kanada kommt die einzigartige Dokumentation „Stolen Moments“. Margaret Wescott machte sich darin auf die Suche nach den fast ausgelöschten Spuren einer lesbischen Genealogie. Durch die Sammlung künstlerischer und literarischer Zeugnisse, amüsanter Anekdoten und Interviews vieler Zeitzeugen will „Stolen Moments“ die lesbische Gemeinde aus der „historischen Heimatlosigkeit“ befreien.

Viel Film fürs Geld bietet Sonntag nachmittag das lesbische Kurzfilmprogramm. Zwölf Produktionen aus sechs Ländern versprechen Abwechslung: Da geht es um Selbstverletzungen, Basketballspielerinnen, Soldatinnen, Flirts, Sex, Liebe, Gewalt..., was das lesbische Leben alles so hergibt. Gleiches kann für das schwule Kurzfilmprogramm Samstag nacht gelten, das dreizehn Produktionen aus sieben Ländern präsentiert.

Vorzumerken ist auch die italienisch-französische Produktion „Why Not“, die als internationale Premiere gezeigt wird. Schrill und bunt dreht sich alles um Gender und Lifestyle. Da läuft Pasquale der zauberhaften Drag Queen Desideria in die Arme und erkennt in ihr/ihm einen Mitschüler aus Kindertagen. Dem erzkatholischen Feuerwehrmann verschlägt es die Sprache: Warum? stammelt er fassungslos. Desiderias Antwort sollte man(n und frau) sich merken: „Warum nicht?“

Termine siehe cinema-taz