Die Bildung einer kritischen Masse

■ 20.000 Studierende protestierten gegen die Kürzungspolitik in den Hochschulen. Am Vorabend der Demonstration in Bonn erlebt die Hauptstadt die größte Studentendemo seit Jahren. HU und TU schließen sich dem FU-Warnstreik an

Einen Tag vor der geplanten Großdemonstration von Studierenden in Bonn hat die Protestwelle gegen die Kürzungen im Bildungsbereich Berlin voll erfaßt. Gestern erlebte die Stadt eine der größten Studentendemonstrationen der letzten Jahre. Unter dem Motto „Wir sind doch nicht blöd“ zogen ca. 20.000 Studenten vom Ernst-Reuter-Platz zum Wittenbergplatz, um für eine neue Hochschulpolitik zu demonstrieren.

An der Spitze des Zuges skandierten die ProtestlerInnen auf einem über drei Fahrstreifen gespannten Transparent: „Es geht um mehr!“ StudentInnen des Studiengangs Musikwissenschaften verschafften ihrer Forderung nach Erhalt des Fachs mit Pauken- und Topfschlägen Gehör. Begleitet von Sambarhythmen und schrillen Trillerpfeifen, tanzten sie gegen die staatliche Bildungspolitik und die Novemberkälte an.

Auf Transparenten wandten sich die StudentInnen gegen „Bildung light“ und kritisierten die zunehmende soziale Ungerechtigkeit: „Den Gürtel enger schnallen – wir ersticken, und Kohl platzt!“ Ziel der verbalen Attacken war auch Wissenschaftssenator Peter Radunski. Man beschwor seine Zukunftsaussichten: „Wer kürzt, wird gestürzt!“

Immer wieder spielten die StudentInnen das „Rüttgers-Spiel“. Auf das Kommando „Rüttgers!“ gingen die ProtestlerInnen gemeinsam in die Hocke und symbolisierten damit die Anzahl der fehlenden Studienplätze.

RednerInnen forderten immer wieder auf, sich gegen die Kürzungen zu wehren, mahnten aber auch, die Forderungen zu präzisieren und die Ziele nicht zu hoch zu stecken. „Wir dürfen unsere Kräfte nicht überschätzen“ hieß es.

Begleitet wurde die Demonstration von einem großem Polizeiaufgebot. Auch Wasserwerfer wurden herangezogen. Vor dem KaDeWe nahm die Polizei mehrere StudentInnen fest, nachdem es zu Rangeleien mit Sicherheitsbeamten kam, die das Kaufhaus schützen sollten.

Im Vorfeld der Demonstrationen hatten sich Studierende der HU und TU für einen befristeten Warnstreik ausgesprochen und waren damit dem Vorbild der FU gefolgt. Dort wird seit Dienstag der Unibetrieb lahmgelegt. Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche in der ersten Dezemberwoche soll die Bevölkerung in öffentlichen Lesungen über die Situation an den Hochschulen informiert werden. Öffentliche Verkehrsmittel sollen zu Hörsälen umfunktioniert werden. Geplant sind auch Sitzstreiks Unter den Linden. StudentInnen der HU riefen dazu auf, dem Senat das Leben zu erschweren: „Sperrt das Rote Rathaus, blockiert die Telefonleitungen und faxt, so daß schon am Mittag das Papier alle ist!“ hieß es.

Unterdessen tagte der Akademische Senat (AS) in einem von der Polizei hermetisch abgeriegelten Gebäude in Lankwitz. Nach Angaben eines Studentensprechers wurde die Entscheidung zum Abbau von 240 Professuren an der FU wiederum vertagt. Ausschlaggebend dafür war das Veto der StudentInnenvertreter im AS. Alexander Eschment