Politik auf der Spielwiese

Am Sonntag wird in Honduras gewählt. Aber die eigentliche Macht haben die Militärs  ■ Aus Tegucigalpa Toni Keppeler

In einem Außenviertel von San Pedro Sula, dem Industriezentrum von Honduras, patrouillieren schwerbewaffnete Soldaten um ein luxuriöses Anwesen. Die Sturmgewehre sind entsichert, die Finger spielen am Abzug. Wenige Tage vor der Wahl des neuen Präsidenten demonstriert das Militär ganz normal seine Macht.

Der Sohn des ehemaligen Militärchefs Humberto Regalado hatte im Vergnügungsviertel von San Pedro Sula mit einer Schrotflinte die Frontscheiben von ein paar Dutzend Taxis zerschossen. Ein Taxifahrer war dabei tödlich getroffen worden. Regalado junior ist flüchtig. Es gab eine Hausdurchsuchung. Dabei entdeckte die Polizei ein enormes Waffenlager: Pistolen, Sturmgewehre, Granatwerfer – insgesamt 149 Stück.

Der alte Regalado, General im Ruhestand, findet diese Sammlung „absolut normal“. Es handle sich vorwiegend „um Geschenke und Erinnerungsstücke“. Verteidigungsminister Jose Luis Nuñez war eher erstaunt über die geringe Menge: „Ich kenne Leute, die haben 700 oder 1.000 Waffen zu Hause.“ Und der amtierende Armeechef Mario Hung Pacheco schickte Soldaten zum Anwesen seines Vorgängers. „Wir können General Regalado und seine Familie nicht schutzlos lassen.“

Alltag in Honduras. Anders als in den Nachbarländern El Salvador, Nicaragua und Guatemala gab es nie einen offenen Bürgerkrieg – und auch keinen Friedensvertrag, der die Macht der Militärs zurückgestutzt hätte. Sie besitzen das größte Wirtschaftsimperium des Landes. Wenn ihnen etwas nicht paßt, können sie noch immer unverfroren drohen. Parteipolitik spielt sich irgendwo anders ab.

Wo genau, läßt sich kaum verorten. Die Kandidaten, die sich am kommenden Sonntag um die Präsidentschaft und um Sitze im Parlament bewerben, gingen im Wahlkampf mit keinem Wort auf die Affäre von San Pedro Sula ein. Auch andere Themen, die das Land bewegten, waren auf den schlecht besuchten Parteiversammlungen kein Thema.

Da war zum Beispiel ein 40tägiger Streik im Gesundheitswesen, der die 28 Krankenhäuser des Landes lahmlegte. 19 Patienten sollen gestorben sein, weil sich niemand um sie kümmerte. Das medizinische Hilfspersonal forderte höhere Löhne. Man braucht mindestens drei Gehälter einer Krankenschwester, um eine Familie einigermaßen über die Runden zu bringen. Doch Gesundheitsminister Juan de Dios Paredes sah schlicht „Terroristen“ am Werk und schickte die Polizei in die Hospitäler. Derzeit ist der Streik ausgesetzt. Es wird wieder verhandelt. Kein Wort dazu im Wahlkampf.

Oder: Zehn Tage vor der Wahl sind vor dem Parlament 200 Indigenas im Hungerstreik. Man hat zwei ihrer Führer verhaftet, weil sie am 12. Oktober, dem sogenannten „Tag der Rasse“, ein Kolumbus-Denkmal in Tegucigalpa gestürzt hatten. Bei den Chorti, die im Nordwesten des Landes siedeln, sterben 60 Prozent der Kinder an Unterernährung, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen. Ihr karges Land wird den Chorti von Militärkooperativen und Großgrundbesitzern streitig gemacht. In den vergangenen Monaten gab es mehrere große Indigena-Märsche auf die Hauptstadt. Die Regierung vertröstete sie stets – bei Wahlen sind die fünf Prozent Indigenas uninteressant.

Im ganzen Land nimmt die Armutskriminalität zu. Die Preise für Grundnahrungsmittel, Wasser und Strom sind seit 1990 um 600 Prozent gestiegen. Und sie werden weiter steigen. Strom- und Wasserwerke sollen privatisiert werden. Rund 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.

Doch Politik spielt sich irgendwo anders ab. Die beiden großen Parteien erwähnen solche Probleme nicht, weil sie sie nicht zu lösen gedenken, und die drei kleinen sind so klein, daß sie nicht ins Gewicht fallen. Zwar tritt mit der „Demokratischen Vereinigung“ (Unificación Democratica, UD) zum ersten Mal in der Geschichte von Honduras auch eine Linkspartei an. Aber alle drei kleinen – UD, Christ- und Sozialdemokraten – können schon zufrieden sein, wenn sie zusammen fünf Prozent der Stimmen erreichen.

Die beiden großen, das sind die Liberale Partei (PL) mit dem klaren Favoriten Carlos Flores Facusse als Kandidaten und die Nationale Partei (PN) mit Nora Gunera de Melgar als Galionsfigur. Beide sind rechts. Beide vertreten ein neoliberales Wirtschaftsprogramm, und ihre Wahlplattformen gleichen sich so sehr, daß sie sich gegenseitig vorwerfen, vom anderen abgeschrieben zu haben.

Flores führt die Umfragen mit rund zwanzig Prozentpunkten Vorsprung an. Dabei gilt der menschenscheue 47jährige, Besitzer einer der größten Tageszeitungen des Landes, als arrogant, autoritär und empfindlich. 1989 wollte er schon einmal Präsident werden, war aber gegen den nationalen Kandidaten Rafael Callejas unterlegen. Derzeit ist er Parlamentspräsident, bei heiklen Diskussionen fehlt er stets.

Seine Gegnerin Gunera freilich ist noch blasser. Die 56jährige Grundschullehrerin gilt als Marionette des ehemaligen Präsidenten Callejas und hat zudem gute Beziehungen zur Armee. Von 1990 bis 1994 war sie Bürgermeisterin der Hauptstadt. „Callejas machte die Politik, und Gunera weihte seine Projekte ein“, sagt ein Zeithistoriker über ihre Amtsführung.

Angesichts dieser Alternativen erscheint der scheidende Präsident Carlos Alberto Reina wie eine Lichtgestalt. Der konservative Anwalt war vor vier Jahren mit dem Anspruch angetreten, eine „moralische Revolution“ zu entfachen. Er war der erste Präsident, der einer Konfrontation mit den Militärs nicht aus dem Weg ging. Reina schaffte die Wehrpflicht ab, löste die Polizei aus den militärischen Strukturen heraus und unterstellte sie dem Innenministerium.

Am Sonntag sind die Militärs wieder dabei: Sie verteilen Wahlunterlagen, sammeln sie nachher wieder ein, überwachen den Prozeß. Armeechef Hung Pacheco gibt sich als großer Freund der Demokratie: „Wir sind die einzige Garantie für einen transparenten Wahlgang und die beste Versicherung gegen einen Betrug.“