Der Machtkampf der Ajatollahs

Großajatollah Montaseri hält Irans Religiösen Führer Chamenei für unfähig. Der will seinen Widersacher verklagen – wegen Verrats an der Islamischen Revolution  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Die Besucher kamen mit Knüppeln in der Hand und hatten es auf einen kleinen, alten Mann abgesehen. „Tod Montaseri!“ und „Montaseri gehört aufgeknüpft!“ riefen Frauen im schwarzen Schador und Männer mit Bärten vor dem Haus des Großajatollahs Hossein Ali Montaseri (75) in Qom, dem Zentrum der schiitischen Geistlichkeit Irans. Dann zertrümmerten sie sein Büro und verletzten den Kleriker. Montaseri ist seit dem Überfall in der vergangenen Woche verschwunden. Der Großajatollah sei „in Sicherheit“, trat die staatliche Nachrichtenagentur Irna Gerüchten entgegen, er sei ermordet worden.

Hinter den ungebetenen Besuchern steckt Ansar-e Hisbollah, die „Anhänger der Partei Gottes“. Dieser Schlägertrupp gehört zu den inoffiziellen Machtinstrumenten von Irans Religiösem Führer, Ali Chamenei (57) und der war zuvor von Montaseri herausgefordert worden. In einer Freitagspredigt hatte Montaseri erklärt, Chamenei sei als Religiöser Führer ungeeignet.

Gestern meldete sich Chamenei selbst zu Wort. Dem Rivalen müsse der Prozeß gemacht werden, erklärte er im staatlichen Fernsehen. Montaseri habe die Islamische Revolution verraten. Keinesfalls, so Chamenei, handele es sich bei dem Konflikt um „eine persönliche Angelegenheit“.

Das Gegenteil ist der Fall. Der Linksislamist Montaseri und der konservative Chamenei sind seit dem Tod von Ajatollah Chomeini im Jahr 1989 Erzfeinde. Ursprünglich hatte der iranische Revolutionsführer Montaseri zu seinem Nachfolger auserkoren. Doch durch Kritik an Menschenrechtsverletzungen fiel der in Ungnade. Chomeini stellte Montaseri unter Hausarrest und erwählte den farblosen Chamenei zum Nachfolger.

Die Entscheidung löste unter Klerikern Kopfschütteln aus. Denn im Vergleich zu Montaseri ist Chamenei theologisch unterqualifiziert. Montaseri gilt als Mardscha-e Taqlid (Quelle der Nacheiferung), wegen seiner umfangreichen theologischen Studien darf er die islamische Lehre zu aktuellen Fragen interpretieren. Chamenei steht nicht einmal im Rang eines Großajatollahs. Dennoch hat er als Religiöser Führer die Funktion des Wali, jenes Geistlichen, der laut Chomeinis Lehre von der Statthalterschaft der Rechtsgelehrten die Islamische Republik führen darf – praktisch Gott auf Erden vertritt.

Montaseri enthielt sich nach seiner Absetzung als Kronprinz weitgehend politischer Äußerungen. Dafür durfte er unter strenger Bewachung in Qom lehren. Seine Anhängerschaft blieb ihm treu und besonders zu seinen Freitagsgebeten kamen Gläubige aus dem ganzen Land in seine Moschee.

Mit seinen jüngsten Aussagen hat Monateseri seinen Anspruch auf das Amt des Religiösen Führers angemeldet. Der Schritt ist besonders brisant, weil ihm Sympathien für Irans vergleichsweise moderaten Präsidenten Mohammad Chatami nachgesagt werden. Eiligst versuchen daher die Anhänger Chameneis, die Bedeutung von Montaseris Qualifikationen herunterzuspielen. „Bloß wegen seines religiösen Wissens“ könne niemand Religiöser Führer werden, erklärte der oberste Justizchef Mohammad Jasdi.

Hastig trat der formal für die Auswahl des Religiösen Führers zuständige Expertenrat zusammen, um Chamenei quasi im Amt zu bestätigen. Und sogar Chomeinis Tochter Sahra Mostafawi meldete sich zu Wort. Ihr Vater habe Montaseri wegen dessen „Naivität“ geschaßt, schrieb sie laut der Nachrichtenagentur Irna. Und Naivität sei, „weder ein kariöser Zahn, den man ziehen kann, noch eine Krankheit, die geheilt werden kann“. Sie könne auch nicht „durch acht Jahre Studium des Islam“ abgelegt werden“.

Seit vergangenem Freitag bleiben im großen Basar von Teheran vormittags die Läden geschlossen – eine Loyalitätsbekundung der konservativen Basaris für Chamenei. Für den kommenden Freitag hat der Koordinierungsrat für die Propagierung des Islam landesweite Demonstrationen zur Unterstützung des amtierenden Religiösen Führers angekündigt.