Asiatische Zähne in europäischen Mündern

Zahnärzte lassen Kronen in Asien oder Osteuropa fertigen. Den Gewinn behalten sie, der Patient zahlt deutschen Preis  ■ Aus Oslo Lo Deufel

Nervös fahndeten Hunderte von Zahnärzten in Berlin, Hamburg, Amsterdam und Oslo kürzlich bei der Lufthansa in Frankfurt nach einer seit dem 31. Oktober „spurlos verschwundenen“ Fracht aus Singapur. Als Kunden und Mitinhaber des Labors Delta DTC (Dental Technology Centre) konnten sie erleichtert aufatmen, als sechs Tage später die Pakete verloren geglaubten Zahnmaterials wieder auftauchten. In der Regel werde die Ware fristgerecht geliefert, sagt Arne Lervik, Mitinhaber von Delta DTC. Und in der Regel erfahren die Patienten kein Wort über die Herkunft ihrer Brücken oder Prothesen – und dies macht die Ausnahme interessant: denn der Zahnarzt bürgt für das Produkt. Er ist aber nicht verpflichtet, den Patienten zu informieren, ob er die Ware beim Zahntechniker um die Ecke, bei osteuropäischen Nachbarn oder am anderen Ende der Welt anfertigen läßt – etwa in Hongkong, Singapur oder Manila, wo sie nur halb soviel kosten wie daheim.

Während jeder Supermarkt über Herkunft, Preis, Qualität und stoffliche Zusammensetzung seiner Angebote Auskunft gibt, darf der Zahnarzt seinem Mitbürger in den Mund stopfen, was ihm beliebt, ohne ihn darüber zu informieren. „Es stimmt, daß viele Zahnärzte sich mit Produkten in Fernost eindecken“, bestätigt Hartmut Schlegel, Sprecher des Gesundheitsministers – es spreche auch nichts dagegen. Nicht einmal, daß „der Zahnarzt selbst“ die Qualität prüft.

Zwar darf der Zahnarzt beim Import von Fernostprodukten keinen Gewinn machen. Das heißt, daß er die bundesweit festgesetzten Erstattungssätze für Zahnmaterial nicht überschreiten darf und der Rechnung, die er der Kasse vorlegt, auch die des Labors beifügen muß. Die Kostensätze seien jedoch darauf berechnet, heißt es bei der Bremer Krankenkasse HHK, was bei deutschen Bezugsquellen zu bezahlen wäre.

„Preisunterschiede stellt nur der Zahnarzt fest, ebenfalls die Qualität. Keine deutsche Krankenkasse oder ein anderes Institut prüft Preis und Qualität zahntechnischer Produkte aus dem Ausland“, bestätigt Ulrich Rademacher von der Zahntechnikerinnung Bremen. Die Kassen sind zufrieden, solange „keine Fälle von Abrechnungsbetrug bekannt“ sind, so der AOK-Bundesverband, der dankbar redliche Billiganbieter rühmt: „Zwei Betriebe produzieren in Malaysia und lassen der AOK dafür einen Nachlaß im Vergleich zu hiesigen Preisen.“

„Ein heikles Thema“, stöhnen Mitarbeiter des Verbands Deutscher Zahntechnikerinnungen (VDZI). Über vereinzelte Straftatbestände würden ja keine Statistiken geführt, allerdings, so Ronald Roloff, müsse er ebenso die Frage nach geeigneten Kontrollen verneinen: Kontrollinstanz sei nach dem Willen des Gesundheitsministers der Zahnarzt selbst. „Dabei ist durchaus nicht alles Gold, was glänzt“, sagt Torstein Wremer, Vorstand des Dachverbandes norwegischer Zahntechniker. Er erkennt angeblich „auf den ersten Blick, welches Produkt aus einem hiesigen Labor oder aus dem Fernen Osten stammt.“

Über Zahnmaterial aus Ostasien, ergänzt Roloff vom VDZI, liegen bislang keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor. Eine Studie der Grazer Universitätsklinik hat immerhin den medizinischen Standard der Importe aus Osteuropa samt Folgewirkungen dokumentiert. Unter Paradontose infolge „mangelhafter Okklussionen“, sprich Lücken zwischen Zähnen oder Zahnersatz und Zahnfleisch, leiden 80 Prozent der mit prothetischen Produkten aus Osteuropa behandelten Patienten. Bei 50 Prozent der Patienten waren Kronen zu groß. Die wurden auch schon mal von Delta DTC geliefert. Das Unternehmen versorgt weit über hundert Zahnärzte in Hamburg, Oslo und Berlin. Mitinhaber eines fernöstlichen Zahnlabors werden sich hüten, Zweifel an der Qualität zahntechnischer Importgüter zu nähren.

Zahntechniker, von pendelnden Kunden stärker abhängig als Reich-Ranicki von deutschen Autoren, wagen kaum öffentlich zu sagen, was sie wissen. Patienten, entmündigt und kaufmännisch geschulten Ärzten ausgeliefert, suchen vergeblich nach einer neutralen Kontrollinstanz. Kurz: Die Gesetze hinken der globalen Wirklichkeit weit hinterher. Erforderlich wäre eine Gesetzesänderung, die der Globalisierung Rechnung trägt und den Zahnarzt verpflichtet, den Patienten über den Standort des Labors zu informieren und ihn um Einverständnis zu bitten.