Genossen, Mut ! !

■ Der einst prominente linke Chor „Die Zeitgenossen“ hat seine LP-Produktionen von 1979-86 auf CD veröffentlicht / Ein kleiner kulturhistorischer Rückblick auf die lebhafte Geschichte der singenden und streitenden Bremer Linken

Ein Gruppenbild. Lange Haare, Nikolausbärte, Wollpullis, hohe weiße Lederstiefel und Kassenbrillengestelle vor revolutionär glitzernden Augen: Wir sind in den wilden und verwegenen 70ern. Das schwarzweiß-Photo erspart dem Betrachtenden glücklicherweise den schonungslosen Blick in die Abgründe farblicher Modeeskapaden jener Zeit. Hartmut Emig zeigt auf einen wüst dirigierenden jungen Mann im Bildvordergrund, mit Schnäuzer, Mittelscheitel und obligatorischer Schlaghose, alles in braun. „Das bin ich“, gesteht er ohne Umschweife. Ein Satz, der komplizierter ist, als er klingt.

Das Photo-Ich namens Hartmut Emig ist begeisterter Chormusiker, begeisterter orthodoxer Linker, begeistert von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und ihrer Vision einer Bündnispolitik aller linken Kräfte unter der Führung der DKP. Der mittlerweile ergraute, begeisterte Chormusiker Emig: Das ist von jenem Ich 20 Jahre später geblieben. „Das bin ich“- ein schillernder Satz.

Es gab Zeiten in dieser Republik, da ging es der Linken noch erstaunlich gut: So gut, daß ihr gar zum Singen zumute war. Emigs Flugblattaufruf „AN ALLE“- ach, die unbekümmerte Selbstverständlichkeit, mit der sich ein Linker im Juni 1976 ein derartiges Akkusativobjekt leisten konnte, stimmt schon nostalgisch – traf in der linken Bremer Politszene auf gute Resonanz. Einen Chor wollte Emig gründen; einen Chor, dem alle die ihre Stimme geben sollten, die laut Flugblatt „Freunde an der Musik haben, selber singen möchten und sich vorstellen können, daß auch Singen ein Engagement für Demokratie und Fortschritt ist.“

Vorstellen konnten sich das in diesen unschuldigen Zeiten viele. Vor allem LehrerInnen aus Göttingen und Marburg (“auch ein knallrotes Nest, das meinte, für den Export produzieren zu müssen“), fühlten sich dazu berufen, ihre Stimmbänder im Takt der unaufhaltsamen Revolution schwingen zu lassen: „Ein für die damalige Bremer Szene typischer Linksmix aus MaoistInnen, TrotzkistInnen, StalinistInnen und Jusos hat sich da spontan eingefunden“, sagt Emig.

Nicht einmal ein halbes Jahr später gaben „Die Zeitgenossen“- 40 Bremer KassenbrillenträgerInnen, Lederstiefelbesitzerinnen und Nikolausbärte – ihr erstes Konzert im Niederdeutschen Theater. Das Premierenprogramm war überschaubarer, als es der Chor selbst jemals gewesen ist: Mikis Theodorakis „Ich bin die Front“, das alte Volkslied „Der Bauernhimmel“und die Hymne der portugiesischen Revolution „Grandola, Vila Morena“. Das war's. Es bedurfte damals keiner bizarren Exzesse, um zu einer kleinen Legende zu werden.

Der Erfolg der „Zeitgenossen“war in jeder Hinsicht enorm. Zahlreiche Auftritte im berühmten DKP-Maizelt auf der Bürgerweide, auf Friedens- und Solidaritätsfesten für Chile und alle anderen, die es nötig hatten, vergrößerten schnell das Ansehen des Ensembles. „Wir hatten da ein Produkt“, sagt Emig, „für das es damals einen großen Markt gab.“Schon Ende 1977 war der Chor auf hundert Mitglieder angewachsen. Ein Verein mußte her, um den logistischen Aufwand zu bewältigen, den die Organisation von 50 Konzerten im Jahr für so viele Menschen (in all den Jahren gab es insgesamt mehr als 500 Zeitgenossen) mit sich brachte.

Vier Platten in acht Jahren, vor allem mit chilenischen und südafrikanischen Arbeiter- und Widerstandsliedern, wurden eingespielt, die erste bereits 1978 in Kooperation mit der Gruppe Argus. Die Linke sang aus vollem Hals, „und“, wie Emig sich gern erinnert, lustig ging es oft zu“. Ja, vor allem lustig war es. Aber nicht immer.

„Ständig wurde über alles diskutiert und alles in Frage gestellt, das war so in dieser Zeit“. Sind wir ein Kollektiv, oder brauchen wir eine Chorleitung, sollen wir wirklich auf dem Bundeskongreß der Arbeiterverräter des DGB auftreten, dürfen wir nur die Unidad Popular-Hymne „Venceremos“singen oder auch den klassischen bürgerlichen Chorscheiß (der aber schön ist ...)? Zudem hatte der Chor im Konzept der DKP strategische Funktionen. Eine andere Kulturpolitik sollte er verkörpern und die geplante Bündnispolitik mit anderen linken Gruppierungen unter der Leitung der DKP mustergültig vorexerzieren. Widerstand gegen diese Pläne wurden in der DKP-eigenen Art geschickt unterlaufen. „Wir waren ja nicht schlecht darin, mit verteilten Rollen Leute zum Schweigen zu bringen und unsere Linie durchzuboxen.“Emig ist das noch heute mehr als unangenehm. So sehr, daß er sich noch vor wenigen Tagen anläßlich einer Party, bei der eine CD mit den Einspielungen der „Zeitgenossen“vorgestellt wurde, öffentlich entschuldigt hat bei denen, denen er mit seiner Chorpolitik geschadet hat. Damals hingegen heiligte der Erfolg die Mittel. Am Ende gingen sie doch in den Probenraum im Verein Vorwärts an der Violenstraße und sangen bessere Zeiten herbei. Bis sie kamen, wenn auch anders, als viele es dachten.

1983 verlies Emig „Die Zeitgenossen“, weil ihm die chorcharakteristische Politisierung der Kunst zunehmend auf den Geist ging. 1987 trat Emig aus der DKP aus, 1989 löste der Chor sich schließlich auf eigenen Beschluß hin auf. Die Linke, das bekam auch der Chor zu spüren, hatte nichts mehr zu singen. Die Nachfrage war stark gesunken.

Dank der finanziellen Unterstützung vieler ehemaliger Chormitglieder hat Emig nun die vier Platten als CD-Dokumentation auf den Markt gebracht. Ein Stück Bremer Geschichte auf zwei Silberscheiben. Also, ihr Hunderte, die ihr mitgesungen habt, und ihr Tausende, die ihr zugehört habt, geht los und kauft die CD. Kehrt zurück in eure schön eingerichteten Wohnungen, legt das Erworbene in den Spieler. Und weint. Und lacht. Und weint. – Und lacht. zott

Die Doppel-CD „Bremer Chor: Die Zeitgenossen 1978-1986. Eine Dokumentation. Lieder zur internationalen Solidarität ist zu beziehen über UtopTon, Martin Lugenbiehl,