Pop-Ikone im HipHop-Kiez

Spielt mit religiösen Versatzstücken, verbindet Kitsch und Kienholz: Arbeiten der letzten zehn Jahre von Giò di Sera im Kunstamt Kreuzberg am Mariannenplatz  ■ Von Harald Fricke

Manchmal hilft einem das Lexikon weiter, wenn man sich Kunst anschaut. Pompeij, heißt es dort, wurde am 5. Februar 62 nach Christus durch ein Erdbeben fast völlig zerstört. 17 Jahre später brach der Vesuv aus, und die wiederaufgebaute Stadt verschwand unter Asche und Lavamassen. Erst im letzten Jahrhundert wurden ein paar Ruinen, das Alexandermosaik und einige Wandmalereien ausgegraben – darunter auch das Bild eines jungen Ehepaares.

Die weiß ausgemalten, starren Augen der beiden Liebenden finden sich nun im Selbstporträt auf der Einladungskarte von Giò di Sera wieder. Der Italiener, dessen Arbeiten jetzt im Kunstamt Kreuzberg gezeigt werden, hat sie als Maskierung auf zwei Hälften einer Plastikzitrone gemalt, dazu hält er einen Pistole in der linken Hand. So wird aus dem melancholischen Bild der Antike eine Pop-Ikone aus dem HipHop-Kiez.

Tatsächlich ist die Biographie von di Sera ähnlich dramatisch wie die Geschichte des Altertums. 1964 in der Nähe von Neapel geboren, kam er 1985 nach Berlin. Damals war seine Heimatstadt von einem Erdbeben schwer beschädigt worden und die Stimmung unter den Jugendlichen entsprechend mies: „Ein Großteil der Leute hatte keine Perspektive mehr, viele fingen mit Heroin an. Wenn ich nicht abgehauen wäre, könnte ich heute schon tot sein“, erinnert sich di Sera und ist einigermaßen glücklich darüber, daß ihm der Absprung gelungen ist.

Kurze Zeit später fand er sich in Kreuzberg wieder. Seine erste Ausstellung wurde in der Galerie von endart gezeigt: Surrealistisch auseinandergesägte Heiligengesichter aus Silikon, Kirchenkunst als Splatter-Akt. Selbst bei den Underground-Galeristen gingen die Meinungen darüber auseinander, ob man die detailfreudigen Jesus- und Madonnen-Darstellungen eher eklig oder doch lieber kitschig finden sollte. Zumindest die christlichen Motive sind bei di Sera geblieben: Auf neueren Objektbildern vermischen sich die Köpfe der Heiligen Drei Könige mit Totenschädeln, schweben Reliefs aus Spielzeughäusern über schwarz geteerten Straßen, und in der Mitte prangen gekreuzte Holzbalken. Das Ganze hat di Sera den kunstvollen Krippen nachempfunden, für die Neapel berühmt ist – auch dort wird das Zeitgeschehen in mythologische Szenen verpackt. Dieses Jahr hat man deshalb Versace und Lady Di neu in das Figurenensemble aufgenommen.

Für Giò di Sera ist diese Unmittelbarkeit und Volksnähe Süditaliens immer als Einfluß geblieben. Das Spiel mit populären Versatzstücken zieht sich durch die gesamte Ausstellung: Mal tauchen Putten eingeklebt auf einem Landschaftsbild auf, mal werden van Goghsche Sonnenblumen aus Sägeblättern nachgebastelt; ein Raum ist mit architektonischen Miniaturen gefüllt, auf denen sich die Stadtpläne von Brooklyn oder South Central mit Polizei-Spielzeug und kopierten Dollar-Scheinen treffen. Zuletzt sieht man den Golfkrieg als gemaltes Mosaik im Stil der Azteken – Geschichte made by CNN, aber auch Erinnerung an eine Mexiko-Reise.

Das alles ist figurativ, realistisch und mit Sinn für Ironie gefertigt, wie eine moderne Version der Environments von Edward Kienholz. Dann wieder benutzt di Sera Eisenspäne und Buchstabennudeln, die er minutiös auf der Oberfläche verteilt. Abstraktion und Konzep- art lehnt er dagegen ab, weil er nicht bloß für eine intellektuelle Elite produzieren will: „Als Künstler bin ich an Kommunikation interessiert. Also muß ich mich bemühen, daß die Zeichen, mit denen ich arbeite, für Außenstehende nachvollziehbar bleiben.“

Deshalb baut di Sera Symbole in seine Bilder, Reliefs und Installationen ein, aus denen sich das Publikum eigene Geschichten zusammensetzen kann. So hatte er für die „X-94“-Ausstellung der Akademie der Künste ein Bühnenarrangement entworfen, dessen Umrahmung wie ein Welttheater konstruiert war. Im Zentrum stand eine Künstlerpuppe, anstelle des Kopfes war allerdings ein runder Spiegel eingefügt, „damit sich der Betrachter am Ende selbst wiedererkennen kann. Kunst ist für mich ,alchemia vitale‘, eine Sache, die alle betrifft.“

Das klingt ein bißchen nach Beuys, den Giò di Sera für seine Leichtigkeit im Umgang mit Zeichen schätzt. Überhaupt sieht sich der Italiener in der Tradition von Fluxus, nur sind bei ihm Straßenprojekte mit Jugendlichen und DJ- Events im Club an die Stelle von Performance und sozialer Plastik getreten. Die letzten drei Jahre hat di Sera als Don Rispetto auf Kiss FM die Sendung „Radio Kanaka International“ moderiert. Der Name ist sein Alter ego, das er auch als Mitglied der „Volcano Art Factory“ in Anlehnung an Warhols Pop-Kombinat benutzt. Dennoch sind ihm die Kreuzberger Türken-Posses näher als der Glam vergangener Tage: 1994 wurde di Sera „für die friedliche Zusammenarbeit deutscher und ausländischer Jugendlicher“ mit dem „Mete Eksi Fond“ ausgezeichnet. Daß er jetzt Kunst aus zehn Jahren ausstellt, ist für di Sera wie ein Schlußstrich: „Ich muß wieder was Neues machen, ich hab' eine Nase dafür, wenn sich etwas verändert“.

Giò di Sera – Berlinapoli, bis 25. 01. 98, Kunstamt Kreuzberg. Eröffnung heute um 20 Uhr