Neue Räume für die Kunst

■ Karl-Hofer-Gesellschaft eröffnet neue Ateliers für Stipendiaten auf einstigem AEG-Gelände. Hilfe beim Übergang auf den Kunstmarkt

Aus dem Fenster von Ingrid Schütz' neuem Atelier blickt man über die Spree: Dort wird Schrott gesammelt und sortiert. Im Arbeitsraum der jungen Künstlerin dagegen platzt aus Koffern und Kartons ein Material, dessen Zusammenhalt kaum zu erraten ist: gepunktete Kleider, künstliche Torten, Papierspitzen, Spielzeug. Ingrid Schütz sammelt, was zum süßlichen Überzug des Lebens und zur Verniedlichung der sozialen Beziehungen beiträgt.

Sie gehört zu den zwölf ersten Mietern der neuen Atelieretage der Karl-Hofer-Gesellschaft. Seit 1953 widmet sich der private Förderverein der Unterstützung von Absolventen der Hochschule der Künste, über 15 Jahre hinweg stellten die „Hofers“ den jährlich von einer Jury ausgewählten Kandidaten günstige Ateliers in der Rheinstraße in Steglitz zur Verfügung und sorgten mit Katalogen und Ausstellungen (etwa im Bahnhof Westend) für Öffentlichkeit. Damit werden die ökonomischen Härten des Übergangs zwischen Hochschule und freiem Kunstmarkt abgefedert. Oft entstanden unter den bisher über 100 Stipendiaten Bündnisse, die sich später in Selbsthilfeprojekten fortsetzten: Bei „Hofers“ wird Kommunikation statt Konkurrenz möglich.

Zum Ende des Jahres werden die begehrten Räume in Steglitz aufgegeben. Dafür hat die Gesellschaft neue Räume in einer östlichen Industriebrache, auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Oberschöneweide gefunden. Piekfein ausgebaut ist die Fabriketage, beheizt, mit Telefon, ISDN-Anschluß für die Bastler im virtuellen Raum, Waschbecken zum Ausspülen der Pinsel und Parkett im Ausstellungsraum ausgestattet. Nur die farbig markierten Stahlträger erinnern noch an die alte Industriehalle. Zwei Ateliers sind als Wohnungen für Gäste in Austauschprogrammen ausgebaut.

Die jungen Künstler können die Ateliers über zwei Jahre für 100 Mark im Monat nutzen. Die Karl- Hofer-Gesellschaft, die ihre Mittel aus den Beiträgen ihrer 700 Mitglieder bezieht und über Spenden einwirbt, hat die 1.200 Quadratmeter für zunächst zehn Jahre gemietet. Den neuen Standort will der traditionsreiche Verein auch als ein Bekenntnis zum Ostteil der Stadt verstanden wissen – da fragt man sich allerdings, warum sich dann weiterhin nur Meisterschüler der HdK und nicht auch Absolventen der Kunsthochschule Weißensee bewerben können.

Möglich wurde die günstige Mietung (für zehn Mark Warmmiete pro Quadratmeter) durch das Engagement des Eigentümers Peter Barg, der auf dem verlassenen Gelände ein „Kultur- und Technologiezentrum Rathenau“ aufbauen will. Mit zwei Galerien, Reparatur- und Handwerksbetrieben hat die Umsetzung seiner Idee zur Revitalisierung des Industriestandortes begonnen. Seit der Wende und der Schließung der zuletzt hier arbeitenden Produktionsanlagen des VEB Transformatorenwerks Karl Liebknecht wird nach Sanierungskonzepten für den Bezirk gesucht.

Doch die Künstler, geübt, mit weniger auszukommen, sind erst mal froh über den Atelierplatz. Eine der Stipendiatinnen, Angelika Middendorf, verfolgt das Thema der Verdrängungsprozesse in Großstädten und dem Recht der Teilhabe am öffentlichen Raum schon längere Zeit. Mit einer am Körper versteckten Videokamera hat sie Bilder von unwirtlichen Durchgangsorten, Unterführungen, Kreuzungen, Rolltreppen irgendwo zwischen Moskau, Berlin, New York aufgenommen. Dagegen wirkt das Spreeufer, das nach Bargs Plänen auch für Spaziergänger wiedergeöffnet werden soll, fast anheimelnd.

Eingeweiht werden die neuen Ateliers mit einem Fest: mit gewagten Hutlandschaften, singenden und wandernden Tischen, dreibeinigen Tänzerinnen und all den anderen Seltsamkeiten, auf die nur Kunststudenten und ihre Professoren verfallen können. Damit hofft man an den legendären Ruf der Rheinstraßenfeste anzuknüpfen. Katrin Bettina Müller

Eröffnung heute, 19.30 Uhr: Oberschöneweide, Wilhelminenhofstraße 83-85, Geb. 59, III. Etage