Einst Kohlrabi, heute Comedy

■ Wenn andere aufstehen, müssen Radios Quote machen. Egal wie

Morgens um fünf ist die Welt noch in Ordnung. Jedenfalls bei Bayern 2. Da sendet man neben Volksmusik und Gebetserhörungsgeschichten auch noch die aktuellen Preise für schlachtreife Schweine und Rinder. Den Städter interessieren die Schweinepreise Oberbayerns natürlich wenig, dafür leistet sich das SFB-Radio 88.8 in Berlin einen Marktbericht, der dem Konsumenten sagt, wo der Kohlrabi am billigsten ist.

Der Marktbericht ist eines der wenigen genuinen Frühstücksradio-Elemente, die aus den Zeiten des Dampfradios blieben. Andere sind Frühsport (unter dem Titel „Tu was für dich“ immer noch auf Bayern 2) und Morgenandacht.

Der Morgen ist die Prime-time des Radios. Bis zu 70 Prozent der sogenannten Tagesreichweiten werden zwischen sechs und neun Uhr eingefahren. Weshalb die Privaten da ihre Werbezeiten am teuersten verkaufen können – trotz (oder wegen?) der morgens „oszillierenden Aufmerksamkeitskurve“ der Hörer, von der Radioleute bedauernd sprechen. Kommerzielle Sender verbraten mitunter 90 Prozent ihres Etats in jenen drei Morgenstunden. Wenn überhaupt etwas, dann ist es die Morgenstund, die fürs Radiobusiness Gold in Aussicht hält.

Drum ist der Frühsport längst dem Wettlauf der Sender nach Aufmerksamkeit gewichen. Selbst die Stärke der privaten Morning Shows, die Comedy, ist vor Abstürzen wie beim Morgenmoderator Arno bei RTL Berlin nicht gefeit. Daß es auch anders geht, zeigten die Porträts deutscher „Frühstücksdirektoren“, die die Kritikerin Sybille Simon-Zülch präsentierte, als vergangene Woche bei den „Frankfurter Hörfunkgesprächen“ über den Radiomorgen diskutiert wurde. Wolfgang Leikermoser, Moderator der Sendung „Guten Morgen Bayern“ der Antenne Bayern („niveauvoller können Sie Ihre Frühstückseier nicht abschrecken“) steht, so Simon- Zülch, für ein „lässig-ironisches Bekenntnis zur Anspruchslosigkeit“.

Nachdem sich die ganz billige Orientierung an den Formatradioschemas von der Stange offenbar totlief, scheint es nun eine Renaissance des Personalityradios zu geben. Leikermoser darf das gesamte Promotionpotential des Senders einsetzen und dreimal pro Woche muß er in den „air-check“, die Auswertung der gelaufenen Sendungen. Der Moderatorenkult geht soweit, daß Kollegen für Stefan Heller, den „Morgenmän“ beim niedersächsischen Radio ffn, Interviews führen, die der Star später nachsynchronisiert.

Weniger lax geht es in den hochseriösen Magazinen des Deutschlandfunks und vom Deutschlandradio Berlin zu. Aber auch die bekamen ihr Fett weg. DLR-Berlin- Moderatorin Marie Sagenschneider, die „in ihrer Barschheit geradezu züchtigend auf die Ohren morgenmüder Hörer wirken muß“, so die Kritikerin, befleißigt sich trotz gelegentlicher sarkastischer Einschübe letztlich desselben hörerfeindlichen Politikerjargons wie ihre Gesprächspartner.

Was Formatradios wirklich können, das sind Gewinnspiele. Egal ob sie täglich 10.000 Mark oder einmalig einen Adelstitel verlosen, die Dramaturgie stimmt. Weil das Spiel nicht falsch sein kann, wenn das Geld echt ist. Obwohl nur wenige Privatsender wirklich Profite machen, ist es doch ein sympathischer Gedanke, daß die Hörerschaft zumindest tendenziell dafür entschädigt wird, daß man sie als Werbekontakte an die Wirtschaft verkauft hat. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Jochen Meißner