"Ein Riesenbedarf"

■ "... und du machs 'ne Linkshändlerzeitung?!" Trotz vieler Vorurteile macht ein "Umerzogener" Deutschlands erstes Journal für Lävographen

Geblättert wird auch Left Hand Corner von rechts nach links, und das Blatt wird von links nach rechts gelesen. Alles ganz konventionell. Nur die Seitenzahl steht immer links – und „Keine neue Partei. Kein neuer Was-weiß-ich e.V.“ im Editorial. Denn nicht Parteilichkeit, sondern „Seitigkeit“ ist das Anliegen der ersten deutschen Linkshänderzeitschrift. Die hat sich das amerikanische Lefthander magazine und den Britischen Left- Hander zum Vorbild genommen.

Trotz solch illustrer Vorbilder hat Norbert Martin, Autor, Redakteur, Verleger und (natürlich) Linkshänder aus Wuppertal, seine liebe Not, nicht als Spinner abgestempelt zu werden: „Linkshändler?“ läßt er daher die rechtshändige Ignoranz gleich auf den ersten Seiten in seiner „Linksfertigungsrede“ blaffen: „In Afrika, ey, verhungern die Leute, datt Ozonloch und so, 40 Jahre Korruption in Wuppertal und du machs 'ne Linkshändlerzeitung? Samma, wat soll dat denn?“

Natürlich weiß auch Norbert Martin, daß es gewichtigere Probleme gibt. Aber er weiß auch, daß Linkshändigkeit, die „angeborene, spiegelbildliche Verdrehung der lateralen Gehirnqualitäten“, obwohl sie statistisch mindestens 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung betrifft, noch immer mit gesellschaftlichen Ressentiments behaftet ist.

Schließlich kennt der 44jährige Ex-Elektronikkaufmann, für den das neue Blatt neben seiner kleinen Werbeagentur der Hauptberuf ist, die Materie. Mußte er doch selbst – wie sich nicht er, wohl aber seine 73jährige Mutter erinnere – „als ABC-Schütze noch links einen Wollhandschuh anziehen“. Erst Jahre später entdeckte der „Umerzogene“ seine Linkshändigkeit wieder, als er beim Gitarrespielen- Lernen mit dem „schönen Händchen“ nicht weiterkam.

Kein Wunder, daß Martin „Gitarren, Gitarren, Gitarren“ zum Schwerpunkt der aktuellen, ersten Left Hand Corner-Ausgabe machte. Linkshänder-Gitarren natürlich. Sind doch auch für den Linkshänder zweckdienliche Gitarrenhändler rar, so daß Norbert Martin der Gitarrenhändlersong von Tocotronic („Gitarrenhändler, ihr seid Schweine / Gitarrenhändler, ich verachte euch zutiefst“) aus dem Herzen geschrieben ist.

Deshalb hat der Verleger sich aufgemacht und Hersteller und Händler befragt, Preisunterschiede ermittelt, Empfehlungen ausgesprochen. Dann gibt es praxisnahe Umbau-Tips für eine „unverwechselbare Lefthand-Billiggitarre“, einen kleinen „Barré-freien Song“. Wer seine linken Finger anderweitig beschäftigen will, findet ein hübsches Linkshänder-Daumenkino aus der Feder des Blattmachers.

Gemacht ist das vierteljährlich erscheinende Blatt noch wie eine Schülerzeitung (bzw. wie man Schülerzeitungen eben machte, bevor Farbdrucker und Layoutprogramme den publikationswütigen Nachwuchs in die Frontpage-Epigonie trieben): Din-A5-Format, schwarzweiß, zusammengetackert, 5 einschlägige Anzeigen, 32 Seiten. 3.000 Stück der „zwei D-Mark“ teuren Erstausgabe Left Hand Corner ließ Martin drucken. Gut 500 hat er (nicht zuletzt dank einer freundlichen Erwähnung in der Bild-Zeitung) schon verkaufen können. „Solange die Sache wächst, wird sie groß“, meint Martin – „und wenn das Thema tatsächlich überflüssig und die Zeitschrift völlig unnötig wäre, dann würde sie auch eingehen.“ Aber die Resonanz in den letzten Wochen habe gezeigt: „Da ist ein Riesenbedarf!“

Und so wird Norbert Martin wohl fürs erste weitermachen: informativ, launig-subversiv, unprofessionell und mit dem lakonischen, immer ironisch gebrochenen Timbre des Diskriminierten, Gekränkten. Martin ist eben einer (vielleicht irgend einer), der sich ärgert, „daß das Thema Linkshändigkeit nicht auf dem Tisch bleibt“; einer, der aus etwaigen „Vorteilen der Rechtshändigkeit“ die „Vorurteile der Rechtshänder“ zu destilieren weiß und außer von einer langfristigen Left Hand Corner- Auflage von 5.000 Stück von einem eigenen Solar-Auto träumt. Steuerrad links, versteht sich. Christoph Schultheis

Left Hand Corner, Tel./Fax: (0202) 305156