Die nächste Show ist immer die schwerste

Seit zehn Jahren behauptet sich der Frankfurter Portikus als Dauerbaustelle gegen die anderen Museumspaläste am Main. Nicht nur das: Vieles, was später im Rest der Republik herumgezeigt wurde, hatte zuvor an dieser Stelle den Containertest bestanden  ■ Von Thomas Wolff

Der Baustaub „steckte mir noch in den Knochen“, erinnert sich Martin Hentschel. Drei Jahre lang hatte der Kurator dabei zugeschaut, wie mit hanseatischer Sparsamkeit die historischen Bremer Speicherhäuser zum Neuen Museum Weserburg umgebaut wurden, um nun im nächsten Provisorium Platz zu nehmen: dem Portikus in Frankfurt, einem zugigen Containerbau hinter den Ruinen einer klassizistischen Bibliotheksfassade, diesmal auf hessische Knauserigkeit gegründet.

Im zehnten Jahr des Bestehens hat sich der Baustaub dort immer noch nicht gelegt. Wer unlängst durch die Säulenhalle des Portikus in die Ausstellung von Gregor Schneider eintrat – die laufende Nummer 81, verantwortet von Hentschels Nachfolgerin Brigitte Kölle –, der sah sich von Bauschutt, Rigipskartons, Preßspanplatten, Hämmern und Sägen umgeben. Der Symbolwert der Schau des bauwütigen Installations-Maniacs Schneider war unübersehbar: Auch im Jubiläumsjahr behauptet der Portikus seine Position als muntere Dauerbaustelle unter den Frankfurter Großkulturhäusern.

Der Schluß liegt nahe: Gerade der Verzicht auf repräsentatives Gepränge hat über zehn Jahre die Beweglichkeit unter den Künstlern, Kuratoren und zuletzt gar den Sponsoren der Kunstkiste gefördert. Gründungsdirektor Kasper König, dem das Haus von der Stadt als Morgengabe zum Amtsantritt an der Städelschule gereicht wurde, hat diese Beweglichkeit stets als Ergänzung, wenn nicht sogar Gegengewicht zu den großen Gesten der repräsentativen Museen am anderen Ufer verstanden.

Frankfurt sei eine „Angeberstadt“, befand König schon kurz nach Amtsbeginn, „da brauchen wir nicht mitzumachen“. Das dortige „Getue mit der Kunststadt“ empfand er als „parvenuhaft und blöd“. Der schlichte Containerbau von Marie-Therès Deutsch und Klaus Dreißigacker darf bis heute als architektonischer Beleg für Königs Ansichten gelten. Mit 380.000 Mark Baukosten benötigte man nur einen Bruchteil dessen, was die Stadt in den achtziger Jahren für ihre Vorzeigemuseen am „Musuemsufer“ aufzuwenden bereit war. Der nüchterne Kubus, listenrich hinter den pompösen Bibliothekssäulen verschanzt, bot zugleich einen beziehungsreichen Rahmen, in dem sich Medienstars à la Bruce Nauman und Matthew Barney ebenso ausbreiteten wie die heimischen Künstlerprofessoren und Studenten des Städel.

So entwickelte sich im wilden Osten eine Wunderkiste, die ihr Publikum immer wieder überraschte. Mal diente der Raum als Kinosaal, durch den die Experimentalvideos der Peter-Kubelka- Klasse irrlichterten, tags darauf als Konzertsaal für improvisierte Musik. Die Besucher stapften durch bunte Knetmasse, die Leni Hoffmann flächendeckend auf dem Boden ausgewalzt hatte; sie feuerten die Brasilianer bei der Übertragung des 90er WM-Turniers auf einer Großbildvideowand an; sie sahen sich hier erstmals mit dem düsteren Stammheim-Zyklus Gerhard Richters konfrontiert und mit den Monumentalfotos von Thomas Ruff. Vieles, was später in den großen Häuern der Stadt und im Rest der Republik herumgezeigt wurde, hatte zuvor schon den Portikus-Test bestanden.

Wobei die latent vorhandene Drohung der Stadt, die Kiste doch irgendwann dichtzumachen, die spontanen und oftmals gewagten Entscheidungen der Kuratoren zusätzlich beschleunigt haben dürfte. Die nächste Ausstellung könnte schließlich die letzte sein. Den Geldhahn hat das Kulturdezernat längst zugedreht. Dezeit zehrt Kuratorin Kölle – nachdem sich König aus der Programmplanung größtenteils verabschiedet hat – immer noch von jenen 1,2 Millionen Mark, die im Juni 1994 im Rahmen einer spektakulären Benefiz-Kunstauktion bei den Betuchteren unter den Frankfurter Kunstfreunden lockergemacht wurden. Das Planungsdezernat läßt dennoch keinen Zweifel daran, daß der wenig repräsentable Container von der Stadt nur „freundlich geduldet“ ist. Und treibt die Königskinder so zu neuer Eile an. Acht bis zehn Ausstellungen pro Jahr verwandeln den Portikus immer wieder aufs neue.

Dezeit bestimmt ein eher heiterer Tonfall die Atmosphäre in der Halle. Der Berliner Aktions- Künstler Tomas Schmit breitet im Portikus seine gesammelten Wort- und Bilderrätsel der letzten 30 Jahre aus. Damit setzt er nur konsequent fort, was in Fluxustagen als „Aufführ-“ oder gar „Aufführerkunst“ (Schmit) begann. Stets ging es ihm darum, durch kleine, aber gezielte Regelverstöße das Publikum zu irritieren. Wie an jenem Nachmittag des Jahres 1962, als Schmit seine Gäste, die in Erwartung eines Happenings gekommen waren, hinaus aufs Land kutschierte – um die Kunsttouristen dumm in der Gegend stehenzulassen und sich selbst im Bus davonzumachen.

Solche Überfälle übt Schmit nun in Form von Zeichnungen, Heften und Büchern aus. Was ihn in die Lage versetzt, in der Realität schwerlich durchführbare Aktionen zu ersinnen. So schafft Schmit sogar locker die Quadratur des Kreises: Man braucht dazu bloß einen Hammer, den richtigen Einfallswinkel und einen ordentlichen Wumms, wie seine gezeichnete Selbstbauanleitung unwiderlegbar beweist.

Das mag bisweilen an die Naivität von Witzzeichnungen und Druden erinnern. Dabei schreitet Schmit allerdings mit großer Leichtigkeit das weite Feld des Mediums Zeichnung aus. Deren Möglichkeiten und Codes untersucht er anhand ihrer diversen Spielarten. Bastelbogen und Weltenplan, Ideenskizze und technische Zeichnung, Rebus und wissenschaftliche Tabellen: All das wird mit minimalem Kraftaufwand gedreht, gewendet und geschüttelt – bis die Begriffe und Bilder dumm in der Gegend herumstehen. Dieweil sich Schmit längst mit dem Bus davongemacht hat.

Zum Jubiläum erscheint die Publikation „Portikus Frankfurt am Main 1987–1997“. Hg.: Brigitte Kölle, 336 S., ca. 1.000 Abb., 98 DM. Ausstellung Tomas Schmit bis 7. Dezember