Ein gutes Buch hilft!

■ In Robert Carters "Der Bestseller" feiern dem gedruckten Wort ergebene Menschen schlimme Orgien an Orten, die sie fälschlich als Buchmessen ausgeben. Gemordet wird außerdem

Alle Kleinigkeiten nachzuschlagen, jedes Fremdwort und jede Person mäßiger Bekanntheit auf die korrekte Ablage im Hirn hin zu überprüfen, macht den Lektor alter Schule aus. Der Lektor alter Schule ist ein gründlicher, schwer an seiner Bildungsaufgabe tragender. Wer jemals (früher) in einem Buchverlag gearbeitet hat, weiß das. Beim Pausentee ein Gespräch über Zitronen und Limetten? Sogleich springt einer auf und greift nach dem „Großen Meyer“: „Limetten“, da haben wir es...

Lektoren sind vielleicht die am umfassendsten gebildeten Menschen überhaupt. Verleger zählen nur zu den gebildetsten Menschen, wenn sie als Lektoren angefangen haben, tun aber auch ohne das gern so als ob. Nur so fühlen sich Verleger nämlich ihren Lektoren gewachsen.

Jeder Verlag hat seinen Starlektor. Ein solcher, er ist zudem noch Pulitzer-Preisträger-Entdecker, intrigantes Schwein und Womanizer in Personalunion, wird in „Der Bestseller“ ermordet aufgefunden. Robert Carter, selbst Verleger und außerdem Dozent für Verlagswesen, macht die schöne Heimat USA in seinem Literaturkrimi zum Leseland. Kein übler Anfang, was den Humorfaktor angeht. Und Carter beläßt es nicht dabei. Sein Held, ein gewisser Nick Barlowe (Marlowe?!), ist „ein altmodischer Brummbär“ und ähnelt der Beschreibung nach so sehr Orson Welles, daß der Leser nicht sicher sein kann, ob das Autorenfoto auf dem Umschlag nicht tatsächlich Orson Welles zeigt.

„Der Bestseller“ nimmt den Literaturbetrieb elegant auf die Schippe. Ich muß es wissen, schließlich mußte ich mir sechs lange und Gott sei Dank vergangene Lektorenjahre von mehr oder minder begabten, dafür jedoch um so schlechter gelaunten Cheflektoren, Autoren, wissenschaftlichen Kommentatoren (ich sage nur „Nachworte“!) und Fotografen dumm kommen lassen. Solche Qualen würdigt nun endlich jemand – danke, Robert Carter! Auch im „Bestseller“ feiern dem gedruckten Wort ergebene Menschen schlimme Orgien an Orten, die sie fälschlich als Buchmessen ausgeben. Diese Wesen essen nicht, sondern speisen, französisch, und betrinken sich dabei mit auserlesen teuren Weinen – vor der Welt und sich selbst neben der Literaturverbundenheit quasi Beweise einer kulturellen Höherständigkeit.

Nicht nur Selbstverarschungen, auch eine Unzahl literarischer Anspielungen schmücken Robert Carters schmales Prachtstück. Zu jedem Vorfall weiß sein Barlowe das passende Zitat, zu jedem geographischen Ort die zugehörigen Krimiautoren: Virginia – Patricia Cornwell, Montana – Sandra West Powell etc. pp. Wo Barlowe auch ist, er spielt den Reiseleiter, und was auch passiert, ein gutes Buch hilft. Ein Krimi-Plot ohne gebildete und bildende Verfeinerung war dem Autor denn wohl zu nackt.

Mehr noch als alle Ironie helfen und erfreuen jedoch die offen gemeinen Ablehnungsbriefe, die Starlektoren den Absendern unverlangt eingesandter Manuskripte schicken: „Da Sie einen frankierten Rückumschlag beigelegt haben, sende ich Ihnen Ihr Manuskript zurück, obgleich es kein Schaden wäre, wenn es in meinem Büro oder in der Post verlorengehen würde. Die Idee, einen Zehn-Dollar-Schein im zweiten Kapitel zu verstecken, um zu sehen, ob der Empfänger das Manuskript tatsächlich gelesen hat, ist so alt, daß ich sie nicht weiter kommentieren möchte. Ich brauchte das Manuskript nur zu schütteln, und der Geldschein fiel heraus. Wie Sie sehen, habe ich ihn behalten.“

Auch wenn es das Leben kostet: Nieder mit den falschen Höflichkeiten. Ohne die, findet nicht nur Carter, ist das Leben übersichtlicher und spannender. Anke Westphal

Robert Carter: „Der Bestseller“. Roman. Aus dem Amerikanischen Dirk van Gunsteren. Diogenes Verlag 1997, 324 Seiten, 39,80 DM