„Wenn jetzt nichts passiert, ist das Bafög am Ende“

■ Helga Schuchardt, Wissenschaftsministerin in Niedersachsen, über Studenten und Bafög-Reform

taz: Als Koordinatorin einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern versuchen Sie seit knapp zwei Jahren, eine Bafög-Reform zustande zu bringen. Droht die Reform jetzt zu scheitern?

Helga Schuchardt: Ja, das muß man so sagen. Wenn weiterhin nichts geschieht, dann läuft das Bafög schlicht aus. Schon jetzt erhalten immer weniger Studenten noch eine Förderung. Auch in Niedersachsen, wo die Elterneinkommen eher unter dem Bundesdurchschnitt liegen, wird der Anteil der Geförderten in diesem Jahr erneut erheblich sinken. Da findet bereits eine soziale Auslese statt. Immer mehr junge Menschen aus einkommenschwachen Familien entscheiden sich gegen ein Studium.

Vor einem halben Jahr sahen Sie die Reform schon auf gutem Wege. Haben Sie die Finanzminister dabei vergssen?

Natürlich haben wir an die Finanzminister gedacht. Die hatten ja seinerzeit auch einen Beschluß zur Bafög-Reform gefaßt. Der legte allerdings – anders als die Wissenschaftsminister es verlangten – nicht das Bafög-Finanzvolumen des Jahres 1996 zugrunde, sondern das Volumen von 1997. Mit dieser Vorgabe haben wir unser Modell erneut durchgerechnet, und immer noch war es umsetzbar. Allerdings dann nur noch mit einer Sockelförderung von 350 Mark für alle Studierenden, also mit 50 Mark weniger pro Monat, als es die Wissenschaftsminister eigentlich wollen. Leider kamen dann die neuen Steuerschätzungen, und das Filibustern zwischen Bund und Ländern ging weiter.

Auch die sozialdemokratischen Finanzminister haben die Reform jetzt vertagt.

Alle Finanzminister stehen zur Zeit vor einem Desaster und versuchen deswegen, eine Bafög-Reform zu verhindern. Aber daß die Studenten jetzt auf der Straße sind, macht mir wieder Hoffnung. Wenn man allerdings einige Papiere aus den Finanzministerien zum Bafög liest, kann man wirklich vom Glauben abfallen.

Was steht in den Papieren?

In den Finanzministerien bekommen sie richtig Ängste. Künftig soll ja allen Studenten das Geld, was ihre Eltern bisher als steuerliche Erleichterungen erhalten, direkt als Sockelbetrag ausbezahlt werden. Die Finanzminister fürchten nun, daß künftig alle Studenten für höhere Sockelbeträge auf die Straße könnten. Zur Zeit betrifft ja das Bafög nur eine Minderheit der Studierenden. Nach der Reform wären alle betroffen, und möglicherweise würden dann auch mehr Studierende demonstrieren. In den Finanzministerien gibt es richtig Angst davor, den Studenten, diesen ja wohl erwachsenen Menschen, das ihnen zustehenden Geld auch selbst in die Hand zu geben.

Bei der Ausbildungsförderung wird doch ohnehin schon Jahr für Jahr gespart. Nach Angaben des deutschen Studentenwerks sollen in diesem Jahr noch knapp 1,6 Milliarden an Studierende ausgezahlt werden. Mehr als die Hälfte dieser Summe stammt bereits aus Darlehensrückzahlungen.

Die Entwicklung ist in Wahrheit noch dramatischer. Eben diese vorgesehenen 1,6, Milliarden Mark werden 1997 wahrscheinlich bei weitem nicht einmal ausgeschöpft, weil die Quote der Geförderten weiter sinkt. Ohne eine Reform würden dann die neuen Bafög-Haushaltsansätze für 1998 natürlich auf Grundlage der weiter gesunkenen Ausgaben des Jahres 1997 geplant.

Werden diese den Finanzministern höchst willkommenen Einsparungen jemals wieder zurückzuholen sein?

Das ist das große Problem. Deswegen bin ich auch kompromißbereit. Wir dürfen bei der Bafög-Reform nicht noch einmal ein Jahr verlieren. Wir müssen jetzt ein Ergebnis auszuhandeln, um das, was noch in den Haushalten ist, für die Zukunft zu sichern. Angesichts der streikenden Studenten können wir dieses Ziel jetzt vielleicht erreichen.

Der entscheidende Termin für die Reform ist die Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 18. Dezember. Was erhoffen Sie sich da?

Die SPD-Ministerpräsidenten und wohl auch eine Reihe der CDU-Länder werden unser Modell favorisieren. Aber auf der Ministerpräsidentenkonferenz müssen Beschlüsse einstimmig gefaßt werden – und die Einstimmigkeit für unser Drei-Körbe-Modell haben wir derzeit nicht.

Was passiert, wenn an dem Tag nichts passiert?

Dann ist das Bafög am Ende. Dann freuen sich die Finanzminister. Dann sollen sie aber auch offen verkünden, daß sie kein Bafög mehr wollen. Bafög kann dann nur noch zu einem Wahlkampfthema werden. Aber selbst eine rot-grüne Bundesregierung wird nach der Wahl vor Haushaltproblemen stehen. Sie hätte mit dem Haushalt 1999 das Bafög von einem sehr, sehr kleinen Restbetrag wieder hochzufahren. Das wäre sicher richtig und wünschenswert. Doch diese Erwartung ist nicht unbedingt realistisch. Interview: Jürgen Voges