Zwei „Schatzkisten“ und das Tagebuch eines 1983 verstorbenen Deutschen beschäftigen derzeit die Behörden in São Paulo. Für Vertreter der Jüdischen Gemeinde der brasilianischen Stadt gibt es Indizien, daß das Vermögen des Altnazis aus jüdischem Besitz stammt. Von Bernd Pickert

Das Bankgeheimnis des Pfandleihers

Albert Blume, geboren 1907 in Stettin, Deutschland, gestorben 1983 in São Paulo, Brasilien. Nazi- Anhänger. Mitglied der NSDAP ab 1933, 1936 aus der Partei ausgeschlossen und ein Jahr später nach Brasilien emigriert. Als „Karteigenosse“, wegen Untätigkeit, sagten die Nazis. Weil er schwul war und aus Deutschland verschwinden mußte, sagt sein brasilianischer Nachlaßverwalter Ricardo Penteado. Als Agent des Dritten Reiches, um die Flucht von Nazi-Verbrechern nach Südamerika zu organisieren und Raubgold zu verwalten, behaupten brasilianische Juden wie Rabbi Henry Sobel, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von São Paulo und Vorsitzender einer von der brasilianischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission, die den Verbleib von Nazi-Vermögen in Brasilien klären soll.

Auf Antrag dieser Kommission ist am Mittwoch Albert Blumes Schließfach bei der Banco do Brasil geöffnet wurden, an das seit dessen Tod 1983 niemand mehr herangekommen war. Die Ermittler fanden, was sie vermutet hatten: Diamanten, 12.125 US-Dollar in bar, eine noch nicht bekannte Summe in anderen Währungen sowie Schmuck, Uhren, Goldbarren – und Zahngold. Gesamtwert: umgerechnet 7,8 Millionen Mark. Wo all der Reichtum herkommt, soll nun untersucht werden.

26 Personen erhoben nach dem Tod Blumes Anspruch auf sein Erbe. Aber der einzige Fall, der nicht auf gefälschten Dokumenten beruhte, war der seiner inzwischen 95jährigen Tante Margarida Blume. Sie, die der Nachlaßverwalter als alleinige Erbin ermittelte, sagt zwar, sie werde, falls das Gold sich als das Eigentum von Holocaust-Opfern herausstellen sollte, auf ihr Erbe verzichten. Tatsächlich aber handele es sich um das Vermögen, das Blume als Pfandleiher verdient habe.

Als solcher hatte Blume bereits in Deutschland gearbeitet. Angekommen in Brasilien, deponierte er zunächst ein Päckchen bis heute unbekannten Inhalts – „Familiensilber“, sagte er selbst – bei der deutschen „Banco TransatlÛntico“ in Curitiba. Als Brasilien 1942, wie praktisch alle lateinamerikanischen Länder, in den Krieg gegen Deutschland eintrat, kündigte Blume seinen Job bei der Hamburger Importfirma und zog nach São Paulo. Er konnte aber nicht verhindern, daß der Inhalt seines Safes bei der „Banco TransatlÛntico“ zunächst genauso beschlagnahmt wurde und in den Besitz der „Banco do Brasil“ überging wie alle anderen dort deponierten deutschen Vermögen. Erst 1961 erhielt Blume nach mehrmaligen Appellen das Päckchen zurück – und baute sich in Brasilien eine neue Existenz als Pfandleiher auf. Er lebte zurückgezogen in einer schlichten Einzimmerwohnung in São Paulo, und niemand vermutete, daß der schrullige Deutsche, der sein Leben ohne jedes äußere Anzeichen von Wohlstand führte, in Wirklichkeit über derartiges Vermögen verfügte. „Wir glauben, daß es genügend Hinweise gibt, die eine Untersuchung rechtfertigen“, sagt Eduardo Bottela, ein Beamter des Justizministeriums und Sprecher der Kommission. „Blume hat in seinem Leben enge Verbindungen zu den Nazis gehabt.“

Und Marvin Hier, der mit Nachforschungen in Sachen Nazi-Gold befaßte Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles, hält den Fall Blume für „die erste konkrete Entdeckung des Kontos eines Täters unter vielen, auf denen, wie wir glauben, der Löwenanteil des den Juden geraubten Reichtums versteckt ist.“

Der jüdische Historiker, Publizist und KZ-Überlebende Ben Abraham), ebenfalls Mitglied der brasilianischen Regierungskommission, ist fest davon überzeugt, daß Blume als Agent des Dritten Reiches in Brasilien tätig war. Zunächst habe er als Spion gearbeitet, dann sei er Mitglied der Geheimorganisation „Odessa“ gewesen, die nach dem Ende des Krieges die Flucht von Nazis organisierte. „Ganz sicher hat er dieses Gold erhalten, um es an die Nazis weiterzuleiten, die mit Hilfe Odessas nach Brasilien geflohen waren“, sagt Abraham.

Aufklärung über die Herkunft der Reichtümer erhoffen sich die Ermittler jetzt von dem handgeschriebenen Tagebuch Blumes, das – neben verschiedenen, zum Teil noch mit Hakenkreuzkopf versehenen Dokumenten – ebenfalls im Safe gefunden wurde. „Das Tagebuch wird uns die Geschichte erzählen. Mit wem hat er zusammengearbeitet? Wo war dieses Nazi-Netzwerk in Brasilien aktiv?“ sagt Rabbi Sobel. Das Tagebuch und die anderen Dokumente werden derzeit mit Hilfe des Goethe- Institutes übersetzt.