Einmal Subjekt der Geschichte sein

■ Forced Entertainment zeigt, wie Theater und Leben auch sein können: „Speak Bitterness“

„We confess“stellt sich Forced Entertainment dem Publikum vor: „Wir bekennen.“Vier Frauen und drei Männer in grauen Anzügen reihen sich hinter einen langen Tisch, der Bühne und Zuschauerraum trennt. Wer wen verhört, ist damit nicht gesagt: Die nackten Glühbirnen, die an schwarzen Kabeln von der Decke baumeln, reichen bis in die hinteren Sitzreihen. Und vermutlich hat auch da jeder etwas zu gestehen. Speak Bitterness schlägt Forced Entertainment vor und gibt gleich ein paar Beispiele: „Wir haben ,Stairway to heaven' 13mal hintereinander gehört. Wir haben den Hund in die Mikrowelle gesteckt. Wir schrien: ,Fuck the system!', aber wir meinten es nicht so.“

90 Minuten gibt die Live-Art Gruppe aus Sheffield ungefragt Auskunft. Über Sünden, Verbrechen, Unterlassungen. „Für uns sind künstlerische Darstellung und persönliche Geständnisse schon immer Hand in Hand gegangen“, stellt Regisseur Tim Etchells die 1994 entstandene Produktion in die Reihe der 13 vorangegangenen. „Und vielleicht stimmt es, was der Journalist Michael Herr über Vietnam gesagt hat: Daß man in gewisser Weise nicht nur verantwortlich ist für das, was man tut, sondern auch das, was man sieht.“Also: Jeder TV-Besitzer ist verantwortlich für alles.

Doch das Fernsehen hat der „Wir bekennen: Wir sind Teil der Diet-Pepsi-Generation“nicht nur Schuldkomplexe, sondern auch 1a-Anschauungsmaterial in Sachen Seelenstrip geliefert. Schließlich wird das Programm nicht nur von Katastrophen, sondern mit gleichem Erfolg von Talkshows bestimmt. Und so ergehen sich die sieben auf der Bühne intim flüsternd, öffentlich beichtend, verbittert schreiend, beiläufig erwähnend oder mit Nachdruck erzählend in einer endlosen Aufzählung von Selbstbezichtigungen. In ihrer stilistisch monotonen Reihung sind sie ebenso absurd wie schockierend und vor allem in ihrer Banalität und Tiefe amüsant. „We fucked but it didn't always feel good.“

,Ich' kommt in der kollektiven Beichte nicht vor. Was das stets gebrauchte ,Wir' definiert, erscheint hinter einzelnen Sätzen: „Wir haben Geschichten immer gehaßt. Weil wir nie eine hatten.“Deshalb werden all die banalen Nicht-Geschichten aufgezählt, Verbrechen gestanden und mehr noch erfunden: um einmal Subjekt der Geschichte zu sein.

Nach 45 Minuten sagt ein Darsteller „we never knew how to stop“, was ein wundervoll ironisches Schlußwort gewesen wäre, doch geht die Performance noch 30 Minuten weiter. Das ist ein wenig zu lang oder auch zu kurz: Angelegt war das Stück als vierstündige Performance in einer Galerie mit Laufkundschaft, was sicher die ideale Präsentation dieser verbalen Generationsgeschichte ist. In Hamburg wird der Raum mit abschließender Lakonie verlassen: „Wir spielten Gott, wir spielten den Dummen, wir spielten herum. Dann weinten wir. Mehr gibt es nicht zu sagen.“

Christiane Kühl

heute, 20.30 Uhr, Kampnagel k1