Weihnachten – muslimisch erlebt

■ „Wenn andere Kinder feiern, sollen meine Kinder und Enkelkinder nicht nur zuschauen“: Weihnachten unter muslimischen Bremern – eine kleine taz-Umfrage

Auf türkisch gibt es einen populären Kinderreim: Seitdem der Niko aus Demre, einem Dorf in der heutigen Westtürkei, „Nikolaus“gennant wird, so geht der Vers sinngemäß, ißt man beim englischen Kolonialherren „turkey“beim Familienfest am Heiligen Abend. Und die Türken essen dafür „Hindi“. Die Truthähne, die an Silvester auf den Tisch kommen, heißen nämlich „Hindi“– und „Hindistan“heißt Indien auf türkisch.

Von einem Standpunkt außerhalb des europäischen Kulturkreises ist das Weihnachtsfest schwer zu verstehen. Rein gar nichts von den so populären Weihnachtsbräuchen ist im engeren Sinne christlich. Der Tannenbaum ist eine Erfindung der Romantik, Christkind oder auch der „Weihnachtsmann“waren im ersten christlichen Jahrtausend völlig unbekannt. Die ersten Christengemeinden dachten auch gar nicht daran, nach dem Geburtstermin des Jesus Christus zu fragen – nach langem Streit wurde der 25. Dezember festgelegt. Historisch klar ist vor allem, daß dieses Datum falsch ist.

Bei Licht besehen gibt es also keinen Grund, warum nichtchristliche Familien das Fest mit seinen nichtchristlichen Riten nicht mitfeiern sollten. „Wenn andere Kinder feiern, sollen meine Kinder und Enkelkinder nicht nur zuschauen, schließlich leben wir seit 30 Jahren hier“, sagt Sabit Gülec, der im Steintor mit seinen Söhnen ein Lebensmittelgeschäft betreibt. „Die Kinder sollen nicht diskriminiert werden, wir kaufen Weihnachtsbaum, die Kinder schmücken ihn, nacher bekommen sie dann ihre Geschenke“, ergänzt Gülec.

Ein anderer türkischer Migrant der ersten Genaration, der Schneider Ali Aydin, feiert selber nicht. Aber sein 13jähriger Sohn „schmückt sein Zimmer und feiert mit seine FreundInnen“, berichtet er bei unserer kleinen Umfrage. Die 11jährige Cemile, hat schon mit fünf Jahren Weihnachten in der Familie durchgesetzt. „Ich will auch Geschenke haben“, sagt sie laut. Die Eltern haben zwar keinen Weihnachtsmann engagiert, aber Geschenke für die Tochter am Weihnachten sind mittlerweile selbstverständlich.

Im christlichen Abendland ist Streß angesagt in diesen adventlichen Tagen. Großväter, Kleinkinder, Männer und Frauen sind auf der Geschenkesuche. Und dieser Kaufrausch geht bis zum letzten Tag.

Damit aber nicht genug. Da viele mit manchen Geschenken nicht zufrieden sind, fängt am Tag danach das Umtauschen an. Das wiederum kann einige Wochen in Anspruch nehmen. Das Problem ist so verbreitet, daß sogar Radiostationen ganze Tauschbörsen eingerichtet haben. Im Jule-Club werden die häßlichsten Geschenke des Vorjahres weitergereicht.

Der größere Teil der nichtchristlichen Bevölkerung ist von diesem schönen Streß verschont und nimmt höchstens die angenehmeren Teile davon in Anspruch. Fadime Akgün betreibt ein Lebensmittelgeschäft auf der Friedrich-Ebert-Straße und feiert keine Weihnachten. „Wir arbeiten an dem Tag. Es ist ein ganz normaler Arbeitstag, aber am Silvester gehen wir mit der ganzen Familie aus und feiern das Neujahr“.

Für den Taxifahrer Karim Tirbakhsh aus dem Iran ist auch der Jahreswechsel ein ganz normaler Arbeitstag. „Außerdem halte ich von religiösen Feierlichkeiten nichts.“. Der Flüchtling Metin jobbt am 24. Dezember. Er weiß, daß es „für die Christen ein besonderer Tag ist“. Der kurdischer Student Serdar Kosan meint: „Seit fünf Jahren bin ich hier, aber was Weihnachten genau ist, weiß ich noch immer nicht so genau.“

Sein Landsmann und Kommilitone Haci Sahin, der der jesidischen Glaubensrichtung angehört, erzählt: „Als wir als einzige nichtchristliche Familie in einem Dorf lebten, haben wir mitgefeiert. Aber seitdem wir in der Stadt leben, haben wir kein Bezug mehr dazu“.

Güler Gürcan, Rechtsreferendarin beim Landgericht Bremen, ist hier in Deutschland aufgewachsen. Weihnachten war für sie und ihre Familie ein ganz normaler Feiertag. Sie stellt aber fest: „Es ist die Abwechselung, die Bewegung in den kalten und regnerischen Wintertagen. Die Menschen kommen wegen der Kürze der Tage kaum raus und verlernen das Lachen. Weihnachten gibt ihnen die Möglichkeit, endlich mal fröhlich zu sein“.

Manche, wie Pelin Ögüt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen, gestalten den Abend so, daß viele FreundInnen bei ihr „Zuflucht“finden. „Ich bin zwar hier aufgewachsen, aber wir haben nie Weihnachten gefeiert. Hier in der Wohnung bin ich mit meiner Mitbewohnerin zusammen, die christlich erzogen worden ist, aber auch nicht feiert. Unsere Wohnung hat sich so zu einer Art Nische für viele FreundInnen entwickelt, die sich von Heiligabend, Eltern, Großeltern erholen wollen. Nach und nach kommen wir hier alle zusammen“. Aber auch sie braten am ersten Weihnachtstag ihren „turkey“. Orhan Calisir