■ Eine Kulturtechnik stellt sich vor
: Bratwurstessen, leichtgemacht

Zu den beliebtesten Alltagsbeschäftigungen in Deutschland zählt – neben dem Biertrinken und dem Hundeausführen – das Bratwurstessen. Gemeint ist das Bratwurstessen aus der Hand, das Bratwurstessen auf offener Straße. Es gehört zum deutschen Menschen wie das „Einfahrt freihalten“- Schild an der Garage.

Das Bratwurstessen ist omnipräsent. Man kann keinen Marktplatz überqueren, ohne mindestens einen Bratwurstesser zu erblicken, und grundsätzlich wird zwischen Wangerooge und Bad Tölz keine Fußgängerzone eröffnet, solange eine angemessene Bratwurstbudendichte auf der Shoppingmeile nicht sichergestellt worden ist.

Auch Straßenfeste, Weihnachtsmärkte und Fußballspiele sind ohne Bratwurstgrill wie Cindy ohne Bert. Daneben werden Bratwursthütten besonders gerne an gut besuchten Gebirgswanderwegen, verschlammten Baggerseen und vor Einkaufszentren eröffnet. Es gilt der Merksatz: Wenn man weiter als drei Kilometer geradeaus laufen kann, ohne auf eine Bratwurstbude zu treffen, ist man im Ausland. Besonders schwer zu erlernen ist das Bratwurstessen nicht. Indessen begehen Anfänger oft Haltungsfehler, die dazu führen, daß ihnen der Senf auf den Mantel tropft. Es kann deshalb nicht eindringlich genug darauf hingewiesen werden, daß sich der geübte Bratwurstesser gebärdet wie ein Hexenschußkranker – das heißt: Er beugt sich so weit nach vorne, wie es, ohne umzufallen, gerade geht. Sodann wird das Papptellerchen als Senftropfschutz unters Kinn gehalten, während die andere Hand die Wurst ergreift und sie dem Eingang zu den Verdauungsorganen entgegenführt. Darüber hinaus ist zu beachten, daß eine Bratwurst stets im Gehen verspachtelt wird, weshalb ein Bratwurstesser aus der Ferne aussieht wie ein leicht angetrunkener Storch im Salat.

Im übrigen sollte das Bratwurstessen nicht mit einer richtigen Mahlzeit verwechselt werden. Im Regelfall verspürt der Bratwurstesser keinen Hunger. Statt dessen reagiert er mit einer Art Pawlowschen Reflex, sobald ihm der klebrige Dampf von heißem Fett in die Geruchsorgane krabbelt. Kaum steht ihm eine Imbißbude im Weg, schon hat er – grabsch! – die Wurst in der Hand und mümmelt gedankenverloren daran herum. Nicht selten wird deshalb das Bratwurstessen von Ethnologen als ein Verhaltensautomatismus klassifiziert, der in dieselbe Kategorie fällt wie eine ritualisierte Bekreuzigung, welche in abgelegenen Gebirgsregionen gerne und häufig bei der Begegnung mit Luzifer und seinen Spießgesellen vorgenommen wird.

Besonders gefährlich ist das Bratwurstessen nicht. Jedenfalls kaum gefährlicher als das Fahrradfahren auf der Autobahn oder ein Flugzeugabsturz. Im allgemeinen führt das Bratwurstessen nur zu Herzverfettung, Darmkrebs und einem schmierigen Belag auf den Zähnen. Inwieweit es zur epidemischen Verbreitung von Rinderwahnsinn dienlich ist, muß die Zukunft noch zeigen. Zu weiteren Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie bitte Ihren Metzger oder Imbißbudenbesitzer. Joachim Schulz