Keine Freunde in der Not

■ Heute Jahreshauptversammlung des HSV: Dem Vorstand um Uwe Seeler droht ein Debakel – nicht nur bei Wahl eines neuen Aufsichtsratsmitglieds

Berufsvertriebene wissen wohl am besten, wie sich eingefleischte HSV-Anhänger heute abend fühlen werden. Heimatlos, denn der Rothosenclub tagt nicht wie gewohnt im Curiohaus – dort wird umgebaut –, sondern im CCH, Saal 1. Vielleicht wittert der Vorstandsvorsitzende Uwe Seeler auch bei diesem Umzug Verrat. Überraschend wäre es nicht.

Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren hat sich der Dicke zu einem Spürhund in Sachen Verschwörung entwickelt. „Es wird versucht, Unruhe zu stiften“, ist sich der 61jährige auch vor der heutigen Jahreshauptversammlung sicher. Roß und Reiter nennt er nicht, vielleicht aus Furcht, sich zu vergaloppieren. „Wo sind seine Feinde beim HSV?“machte sich dann stellvertretend die Bild-Zeitung auf die Suche. Viel kam nicht heraus. „Schade, wäre interessant“, heißt es dazu in HSV-Kreisen. „Wenn Jürgen Engel und Volker Lange Freunde sind, von welchem Kaliber müssen dann erst Uwes Gegner sein?“

Seine Tennisfreunde – der Ex-Schatzmeister, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, und der einstige Vize, dem vorgeworfen wurde, er habe sich am Verein persönlich bereichert – haben trotz kurzer Amtszeit beim HSV tiefe Risse hinterlassen. Auch deshalb, und weil unter Seelers Regentschaft nichts beim abstiegsgefährdeten Traditionsverein besser wurde, ist das Vertrauen des Anhangs in dessen Personalvorschläge nicht mehr groß. Eugen Block, der auf den letzten Drücker ins Rennen geschickte Aufsichtsratskandidat des Vorstands, wird kein Heimspiel haben. Christian Reichert schon eher.

Der 34jährige Funktionär und Mitbegründer der 4200 Mitglieder starken „Supporters“-Fangruppierung schätzt seine Siegchancen „fifty-fifty“ein. Zwecks Mobilisierung hat der engagierte Anhänger 2000 der organisierten Unterstützer angeschrieben – Tenor: „Die Interessen der jüngeren Generation müssen stärker vertreten werden.“Die Resonanz war positiv, sagt Reichert, der noch während der Auswärtsfahrt nach Kaiserslautern Überzeugungsarbeit leistete: „Viele fordern: Laßt uns umgestalten!“

Das findet auch Ex-Präsident und jetziger Aufsichtsrat Jürgen Hunke, der schon häufig die HSV-Verantwortlichen kritisierte: „Der Aufsichtsrat darf nicht nur kontrollieren, sondern muß auch agieren.“Der dritte Kandidat, Manhard Gerber, gilt als Hunke-Mann. Ihm werden kaum Siegchancen eingeräumt, dennoch könnte er den Ausschlag geben. Gerber wie Hunke sind „Supporters“-Mitglied; der Ex-Vereinschef förderte in seiner Zeit sogar die Gründung der Fan-Organisation. Sollte der erste Wahlgang nicht die Entscheidung bringen (siehe rechts), so wird spekuliert, könnten die Gerber-Wähler für Reichert votieren. Seeler & Co. drohte eine weitere Schmach.

Hohn und Spott ist die Führungsriege gewohnt. Vor wenigen Tagen, bei der Veröffentlichung der Jahresbilanz, wurde zwar mit fast 57 Millionen Mark ein Rekordumsatz ausgewiesen und mit rund 1,4 Millionen Mark auch ein Gewinn. Im allenthalben wachsenden Merchandising-Bereich gab es jedoch 564.000 Mark minus. „Erhebliche Unstimmigkeiten“seien der Grund, heißt es im Vorstands-Bericht. Ein neues Computer-System soll Abhilfe schaffen.

Trotz leerer Kasse – Standardspruch: „Kein Geld für neue Spieler“– spendete der HSV der „Uwe-Seeler-Stiftung“(USS) 100.000 Mark. „Die Stiftung hat einen anerkannten Zweck“, meint Geschäftsführer Werner Hackmann, „kein kritischer Vorgang.“Vielleicht sogar einer mit Weitblick? Auch hier ist die womöglich auf spätere Hilfe hoffende Führungscrew („Schlauer sein als die anderen“) schief gewickelt. Die USS-Satzung kennt nämlich keine falschen Freunde: „Ausschließlicher Zweck der Stiftung ist die selbstlose Unterstützung von Personen, die unverschuldet in Not geraten sind.“ Clemens Gerlach