Zwicken und gifteln“

■ Max Goldt-Lesung im Schlachthof

Wenn ein gediegenes 18-Mark-Publikum sich gegenseitig auf den Füßen sitzt, ohne selbst zu gifteln, steht Frohsinn ins Haus. Und wirklich waren alle, die auf den Schlachthof-Rängen Platz fanden, gut dran. Denn draußen vor der Tür wurde weggeschickt, wer überzählig und zu spät kam.

Sowas von ausverkauft! Das hätte man vielleicht nicht erwartet bei einem einzelnen Vorleser. Doch Max Goldt ist immer noch der Prediger des gehobenen Humors für alle Schlauen und Schwulen. Niemals würde er sich politisch in die Nesseln setzen, wie gewisse Satiriker-Kollegen. Niemals würden seine Späße geschmacklos wie jene „Umta-Umta“-Comedy, die heuer auf den Radiosendern modern ist.

Da saß also ein grauer Anzug auf der weiten Bühne und versprühte den Charme des alten Sacks, der keine große Eröffnung nötig hat. „Ich werde jetzt vier Texte lesen, dann ist Pause, und dann nochmal vier Texte.“, begann der Meister banal. Vom Hundertsten ins Tausendste und über 25 Watt zurück ging es gleich darauf in die Vollen. Das Publikum wurde wieder einmal konfrontiert mit gnadenlosen Wahrheiten um das tägliche Leben. Da räsonnierte der Autor über Bidets, Klebehaken und das Verschwinden des Anfeuchtens der Finger vor dem Umblättern. Ärgerliche Gegenstände wurden ebenso katalogisiert wie jene „Hutzel-Wutzel-People“, die dergleichen benutzen.

Lehrreich war der Vortrag und frisch pointiert. Ein Literaturprofessor im Publikum mochte nicht lange sinnieren über Ellipsen, Alliterationen und sonstige Stilfragen. Angesichts der Probleme beim Essen einer Hongkonger Nudelsuppe mit Stäbchen kicherte auch die intellektuelle Hautevolee hilflos hinterher. Und die Studentin schmiegte sich an ihr Studenten-Männchen, betreten darüber, wie häufig sie selbst schon ihre Mitmenschen über deren Mietzahlungen ausgefragt hatte. Bei Onkel Max lernt man: „Erwachsene tun so etwas nicht!“

Max Goldt verbreitet eine Nonchalance, die schon mit ganz anderen Dingen fertigwerden mußte. Als literarischer „Jetsetter“, ehemaliger Rockstar und neuerdings Texter für einen aufstrebenden Comic-Zeichner kann er sich sogar dreifache Genitive erlauben. Aus seinem heiteren Ansichtenmonopol hagelt es Wertungen, die selbst aus schäbigen Steppdecken kulturelle Ereignisse machen. Was er selbst da tut, nennt er „zwicken, puffen und gifteln“. Doch aus Max-Goldt-Lesungen bezieht man eine „beschwingte Melancholie“sowie den wirklich sehr guten Rat, das eigene Leben als skurriles Ereignis aufzufassen.

Seltsam, daß ein Publikum am Ende so zufrieden übersieht, wie sehr es gerade selbst verspottet wurde. Die bösesten Dinge sagt man nun mal auf nette Weise. Aber vielleicht ist das Nettsein auch die große Kunst?

Helene Hecke