Indien sucht Regierung

■ Nach dem Rücktritt von Premier Gujral hofft die nationalistische BJP auf Neuwahlen

Berlin (taz) – Nach dem Rücktritts des indischen Premierministers Kumar Gujral zeichnete sich gestern noch keine neue Regierung in Indien ab. Am Freitag abend hatte zum zweitenmal in diesem Jahr die Regierung der „Vereinigten Front“ aus regionalistischen und linken Parteien unter Druck der „Kongreßpartei“ das Handtuch werfen müssen. Noch gestern abend wollte Indiens Staatspräsident Kocheril Raman Narayanan mit dem Führer der nationalistischen Hindupartei BJP über eine Regierungsbildung sprechen. Für heute sind Gespräche mit anderen Parteien angesagt.

Premierminister Inder Kumar Gujral erklärte am Freitag abend den Rücktritt seiner Regierung, nachdem ihm zuvor die Kongreßpartei die Unterstützung entzogen hatte. Die Kongreßpartei, Indiens historische Regierungspartei, gehörte nicht zur seit Juni 1996 amtierenden Minderheitskoalition, hat diese aber toleriert. Schon einmal hatte die Kongreßpartei im März der Koalition die Unterstützung entzogen und damit Premier Deve Gowda gestürzt. Unter dessen Nachfolger Gujral konnte die Vereinigte Front dann aber eine neue Regierung bilden.

In den letzten Wochen hatte die Kongreßpartei von der Koalition verlangt, die in südindischen Tamilengebieten verankerte „Dravida- Fortschrittspartei“ (DMK) auszuschließen. Laut dem Kongreß habe eine Untersuchung ergeben, daß die DMK 1991 in die Ermordung des damaligen Kongreß-Premiers Rajiv Gandhi verwickelt war. Die Koalition wies die Vorwürfe zurück und warf der Kongreßpartei vor, aus dem Mord an Gandhi politisches Kapital schlagen zu wollen. Als Gujral dann zurücktrat, erklärte der Kongreß-Vorsitzende Sitaram Kesri, seine Partei erhebe Anspruch auf die Regierungsbildung. Er setzt auf Überläufer aus der bisherigen Koalition; am Samstag betonten die Führer der Vereinigten Front jedoch ihre Geschlossenheit. Keine Partei wolle die Koalition verlassen.

Kongreß stellt nur 140 der 544 Sitze im Lok Sabha, dem indischen Unterhaus. Die größte Fraktion mit 162 Sitzen bildet die BJP. Sie hatte nach den Wahlen im Mai 1996 für zwei Wochen die Regierung gestellt. Da keine Partei mit der BJP koalieren will und sich die politischen Lager gegenseitig blockieren, könnten Neuwahlen der einzige Ausweg sein. Das wollen aber sowohl Präsident Narayanan als auch die Vereinigte Front und die Kongreßpartei vermeiden, denn von einem vorgezogenen Urnengang würde vermutlich vor allem die BJP profitieren. Sie erhob bisher offiziell auch noch keinen Anspruch auf die Regierungsbildung, sondern forderte Neuwahlen. Sven Hansen