Obwohl erfolgversprechende Medikamente zur Verfügung stehen, kann sich das Aids-Virus in Afrika und Asien fast ungebremst ausbreiten. Während sich die Situation in vielen Entwicklungsländern immer weiter zuspitzt, soll es in München für Notfallsituationen demnächst die „Pille danach“ geben Von Manfred Kriener

Eine Welt ohne Hoffnung

Heute nacht, wenn der Uhrzeiger auf Zwölf springt und der Welt- Aidstag zu Ende geht, haben sich 16.000 Menschen mit dem Aids-Virus HIV angesteckt. 15.000 von ihnen werden innerhalb der nächsten zehn Jahre erkranken und sterben. Heute nacht um zwölf ist die Welt außerdem um 250 Millionen Dollar ärmer. Soviel hat die Pandemie seit ihrem Ausbruch Anfang der achtziger Jahre die Weltgemeinschaft an jedem Tag gekostet. Aids ist nicht nur zum großen Killer geworden mit inzwischen 11,7 Millionen Toten. Aids ist auch teuer. Doch selbst die Dollarbeträge mit den vielen Nullen beeindrucken kaum noch. Ungerührt sehen die Industrieländer zu, wie sich die Infektionskrankheit in den Entwicklungsländern ausbreitet.

Die folgenden Zahlen und Daten, die den ungebremsten Zug des Virus quer durch den afrikanischen und asiatischen Kontinent belegen, sind dem Aidsreport der UN entnommen. Als der Bericht am 26. November mit seinen erschütternden Fakten und dem sprunghaften Anstieg der Infiziertenrate vorgelegt wurde, berichteten die meisten Zeitungen mit einer Kurzmeldung. 30,6 Millionen Menschen mit HIV und Aids wurden im Vermischten zwischen Mitteilungen des Bundes der Steuerzahler und erfolgreichen Bären- Nachzuchten im Zoo abgelegt.

Wie sehr sich die Situation verschlimmert hat, dokumentieren die Zahlen aus dem südlichen Afrika. Beispiel Botswana: Der HIV-infizierte Bevölkerungsanteil hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. 43 Prozent der Schwangeren, die im Krankenhaus der zweitgrößten Stadt Francistown getestet wurden, hatten das Virus. Beinahe jeder dritte Erwachsene ist in diesem Land infiziert. Die im Jahr 1990 auf 61 Jahre angestiegene Lebenserwartung ist inzwischen wieder auf das Level von 1960 zurückgefallen: 54 Jahre.

Auch Simbabwe meldet einen Rückgang der Lebenserwartung um volle zehn Jahre durch Aids. Neuere Zahlen zeigen eine kaum für möglich gehaltene Ausbreitung der Infektion: In Harare sind 32 Prozent der Schwangeren infiziert. Im Gebiet nahe der Grenze zur Republik Südafrika, wo viele Gastarbeiter leben, sind 70 Prozent der Schwangeren HIV-positiv.

Jugendliche holen sich das Virus schon bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen. Eine Studie aus Sambia belegt, daß unter den jungen 15- bis 16jährigen Müttern schon zwölf Prozent infiziert sind. In Botswana haben sich unter den 15- bis 19jährigen Müttern sogar 28 Prozent angesteckt. Zum Vergleich: In Westeuropa sind 0,3 Prozent der Erwachsenen infiziert. Ermutigende Signale kommen allein aus Ostafrika. Uganda hat in den letzten Jahren durch eine entschlossene Kampagne gezeigt, daß Aids eingedämmt werden kann. Nach Angaben der UN geht der Anteil der Infizierten in diesem Land weiter zurück. Gegenwärtig sind zwischen fünf und neun Prozent der Erwachsenen infiziert, ein Rückgang um ein Fünftel. Regelmäßiger Kondomgebrauch und eine Reduzierung der Partnerzahl seien vor allem bei jungen Erwachsenen zu beobachten.

In Asien ist der Verlauf der Epidemie schlecht dokumentiert. Immerhin liegen aber einige Schätzungen vor. In China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, wird mit gegenwärtig 400.000 Infizierten gerechnet. Die Zahl erscheint niedrig, sie hat sich aber gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Der Hoffnungsträger heißt Thailand. Hier war die Epidemie Anfang der neunziger Jahre explodiert. Inzwischen zeigt die Aids- Verhütungskampagne des Landes erste Erfolge. Die Zahl der Neuansteckungen geht leicht zurück. Gegenwärtig sind 750.000 Thais, das sind 2,3 Prozent der Erwachsenen, mit HIV infiziert. Die größte Sorge bereitet den UN-Epidemilogen dagegen Kambodscha, wo käuflicher Sex weit verbreitet ist. Sieben von zehn Polizisten, sieben von zehn Soldaten und vier von zehn Studenten haben, einer Studie zufolge, im vergangenen Jahr eine Prostituierte besucht. Der Kondomverkauf ist viel zu spät in Gang gekommen. Heute haben sich in Kambodscha jede 20. Schwangere, jeder 16. Soldat und jede zweite Prostituierte angesteckt.

Der deprimierende Aspekt der Aids-Pandemie ist das Schicksal der Kinder. Weltweit leben inzwischen 1,1 Millionen Kinder mit HIV und Aids. Obwohl mit einer nur wenige Wochen dauernden antiviralen Behandlung eine Ansteckung des Neugeborenen durch die infizierte Mutter vermieden werden könnte, steigt die Zahl der infizierten Kinder in hohem Tempo. Die notwendigen Medikamente sind in den meisten Ländern nicht verfügbar, die Preise unbezahlbar. Selbst ein Land mittlerer Wirtschaftskraft wie Thailand hat große Probleme mit der Arzneimittelversorgung.

„One World, one Hope“, hieß die Losung der Weltaidskonferenz in Vancouver. „Welche Welt, welche Hoffnung?“ fragen die Aids- Aktivisten aus Afrika, Asien und der Karibik. Inzwischen sind 11,7 Millionen weltweit an Aids gestorben. 42 Millionen haben sich seit dem Ausbruch der Epidemie infiziert. Schon im nächsten Jahrzehnt wird die Zahl der Aids-Opfer die der Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges übersteigen. Doch eine konzertierte Aktion der Weltgemeinschaft, ein „Manhattan-Projekt“ gegen Aids, ist nicht in Sicht.