Ein Parteitag der Spekulationen

Auf dem SPD-Parteitag in Hannover soll das Programm im Mittelpunkt stehen. Doch das Interesse konzentriert sich erwartungsgemäß auf Lafontaine und Schröder  ■ Aus Bonn Markus Franz

Vergnügt strich der Landesgruppenchef der CSU, Michael Glos, am vergangenen Mittwoch mit einer Zeitschrift unter dem Arm durch den Plenarsaal des Bundestages. Schadenfroh zeigte er das Titelbild des einen Tag später im freien Verkauf erhältlichen Stern. Erst dem CDU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble, dann FDP-Chef Wolfgang Gehardt und schließlich Bundeskanzler Helmut Kohl. Die drei schmunzelten: Auf dem Titelblatt schnüffelten Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder in Hundegestalt umeinander her.

Die Koalition hat nicht viel zu lachen in diesen Tagen. Am ehesten dann, wenn Gerhard Schröder mal wieder neue Munition für das natürlich lediglich von den Medien aufgebauschte Rivalitätsspielchen zwischen ihm und SPD-Chef Oskar Lafontaine geliefert hat. Auf dem heute beginnenden Parteitag in Hannover droht das Verhältnis zwischen Schröder und Lafontaine wieder zu einem zentralen Thema in der Berichterstattung zu werden. Die Koalition freut's. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Andreas Schmidt, vermutet: „Die Inhalte werden durch den Konflikt zwischen Lafontaine und Schröder überlagert. Uns nutzt das.“

Schon die Vorberichterstattung hatte sich auf das Verhältnis der „harmonischsten Verbindung seit Nitro und Glyzerin“ (Schmidt) konzentriert. Bei der Pressekonferenz zum Parteitag interessierten sich die Medienvertreter fast nur für Schröders Äußerung, er stehe nur als Bundeskanzler, nicht aber als Minister zur Verfügung. Da fragte ein Journalist Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering, ob Schröders Äußerung den Parteitag belasten werde. Münteferings trockene Antwort: „Welche?“

Die Präsentation des Leitantrages „Innovationen für Deutschland“, den Schröder, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs und der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reinhard Höppner, für den Parteitag erarbeitet hatten, geriet vor allem zu einer Debatte über die Knackpunkte zwischen Lafontaine und Schröder. War nicht das Thema Ökologie zu kurz gekommen? Hätte das Bekenntnis zur Ökosteuer nicht deutlicher ausfallen müssen? Schließlich ist bekannt, daß Schröder ein Gegner der Mineralölsteuererhöhung ist. Daß sich die SPD mit ihrer auch von Schröder abgesegneten Beschlußlage zu einer moderaten Mineralölsteuererhöhung von der CDU abhebt, daß sie Solarenergie und den Schienenverkehr fördern, den Autoverkehr zurückdrängen will, geriet in den Hintergrund.

Bei dem Innovationskongreß der SPD in Dortmund am 21. Oktober ging es bei der Podiumsdiskussion über „Neue Arbeitsplätze in Deutschland“ fast ausschließlich darum, die Unterschiede zwischen Lafontaine und Schröder zu verdeutlichen. Es blieb hängen: Lafontaine plädiert für, Schröder gegen die Ausbildungsplatzabgabe. Lafontaine ist für eine Ökosteuer, Schröder eher nicht. Lafontaine will eine Mindeststeuer, Schröder äußert sich dazu nicht ausdrücklich. Lafontaine könnte sich ein „Ende der Bescheidenheit“ bei den Löhnen vorstellen, Schröder hält das für falsch. Lafontaine steht fest hinter dem Euro. Schröder nur bedingt. Und ansonsten gilt, was Lafontaine gebetsmühlenartig herunterleiert: „Es wird Ihnen nicht gelingen, uns auseinanderzudividieren. Wir packen das nur zusammen und nicht gegeneinander.“

Selbst am Donnerstag, wenn Schröder den Leitantrag Innovation auf dem Parteitag vorstellt, wird die Berichterstattung wohl die programmatischen Schwerpunkte vernachlässigen. Schließlich läßt sich trefflich darüber spekulieren, inwieweit Schröder überhaupt noch hinter dem Leitantrag steht. Denn dieser war von der Antragskommission korrigiert worden — unter Leitung von Fraktionschef Rudolf Scharping.

Einer von Schröders zentralen Vorschlägen, einen Niedriglohnsektor aufzubauen, wurde gestrichen. Lafontaine kommt dafür mit seiner Forderung nach einer internationalen Harmonisierung von Steuern und Abgaben stärker heraus, was Schröder für undurchführbar hält. Zudem haben die SPD-Linken durchgesetzt, daß jetzt an jeder Ecke Einschübe über „Nachhaltigkeit“, „Bewahrung der Lebensgrundlagen“ und „ganzheitlichen Ansatz“ auf Schröder lauern.

Der niedersächsische Ministerpräsident ist an solchen Diskussionen nicht unschuldig. In seinen zwölf Dresdner Thesen, die er wenige Tage vor der Vorstellung des Leitantrages unterbreitet hat, läßt sich das Programm des Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder nachlesen. Dort steht zum Beispiel auch, daß die „Steuersätze im europäischen Vergleich nicht wettbewerbsfähig“ sind. Lafontaine bestreitet das.

Die Partei erkennt, daß sie mit ihrer Doppelspitze in Schwierigkeiten gerät. Das Anzeigenmotiv mit den Köpfen von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder wurde zurückgezogen. Es sah wohl zu sehr nach vergleichender Werbung aus. Und die ist schließlich verboten. Solange die Entscheidung für einen der Kandidaten nicht getroffen ist, bleibt der SPD immerhin noch ihr Kürbismotiv. Deutlicher kann sie in ihren Aussagen derzeit kaum werden. Schließlich stehen Lafontaine und Schröder nicht nur für unterschiedliche Positionen, sondern auch für konträre Wahlkampfstrategien. Lafontaine möchte die SPD links von der CDU positionieren. Schröder ist sich selbst Programm genug. Wie sich schon bei seinen Vorstellungen zur Inneren Sicherheit gezeigt hat („Kriminelle Ausländer sofort abschieben“), setzt Schröder auf inhaltliche Nähe zur CDU. Im Vergleich zu Kohl, glaubt er, wird er es als der Jüngere schon schaffen.