Trotz Treibhauseffekt: Eiszeit in Kioto

■ Zur Eröffnung des Klimagipfels tauschen Europäer und Amerikaner ganz undiplomatisch Unhöflichkeiten aus. Derweil verkündet Deutschlands Autoindustrie ungeniert, daß sie die eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen nicht einhalten wird

Kioto (taz) – „Das war ein schlechter Start“, klagte Bill Hare gestern abend, als Tausende Delegierte des Klimagipfels in Kioto sich bei Rotwein und Häppchen vom ersten Tag erholten. Hare mochte zum Start der Konferenz keinen Fortschritt, keine neue Entwicklung erkennen. Dabei kommt es in den kommenden neun Tagen darauf an. Soviel Zeit haben die Delegierten aus über 150 Nationen noch, um sich in der japanischen Kaiserstadt auf ein wirksames Klimaschutzprotokoll zu einigen. Es soll verhindern, daß sich das Erdklima im kommenden Jahrhundert um bis zu 3,5 Grad erwärmt, wie es Wissenschaftler vorhersagen.

Der Gipfel hat schon jetzt Rekordausmaße: Delegationen, Umweltverbände, Industrievertreter und Journalisten, zusammengenommen mehr als 10.000 Menschen – soviel wie seit dem Erdgipfel in Rio nicht mehr.

Die große öffentliche Aufmerksamkeit hat die Suche nach Kompromissen aber nicht beflügelt – im Gegenteil. Am Vormittag griff die US-amerikanische Delegationsleiterin Melinda Kimble den Vorschlag der EU, die Emissionen der Industrieländer um 15 Prozent zu vermindern, heftig an. „Wir denken, daß unser Weg viel effektiver ist als der Weg der Europäischen Union“, so Kimble. Es könne nicht angehen, daß die EU bei den Verhandlungen wie ein Staat behandelt werden wolle und sich so Vorteile zu erschleichen versuche. Einige EU-Staaten wie Portugal, Spanien und Griechenland wollten im Schutze der EU-Glocke ihre Emissionen sogar erhöhen. Die Clinton-Regierung selbst will den US-Ausstoß an klimaschädlichen Gasen bis 2010 höchstens stabilisieren.

Deutlich wurde aber auch, daß die USA einsam auf dem Verhandlungsparkett stehen. Kimbles Rede blieb als einzige am gestrigen Vormittag völlig ohne Applaus. Kimble forderte von einem Klimaschutzprotokoll, daß es „alle sechs Treibhausgase“ berücksichtige und „Schlüsselstaaten unter den Entwicklungsländern“ beteilige. Vor allem mit der letzten Forderung, die im Widerspruch steht zu den bisherigen Verhandlungsergebnissen, haben sich die USA isoliert.

Nur in einem Punkt änderten die USA ihre alte Position: Künftig werden sie nicht mehr darauf bestehen, daß alle Industriestaaten genau gleich stark reduzieren müssen. Damit zeigten die USA ausgerechnet in einem der Punkte Flexibilität, in dem sie bislang mit der EU einig waren. Ganz zum Ärger des Botschafters des EU-Ratsvorsitzenden aus Luxemburg, Pierre Gramegna: „Wir sehen bei den Amerikanern Flexibilität immer nur in die falsche Richtung – das Spiel heißt: Wie finde ich neue Schlupflöcher.“

Auf Unverständnis stieß die konfrontative Haltung der US-DiplomatInnen in Kioto auch, weil die US-Klimaschützer zu Hause ausnahmsweise mal Rückenwind haben. In großen Zeitungsanzeigen werben US-Konzerherren wie Ted Turner für rasche Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt. Außerdem ergab eine Umfrage der New York Times, daß 87 Prozent der US- Bevölkerung Klimaschutz für nötig halten. 65 Prozent erwarten von ihrer Regierung, etwas im Alleingang zu unternehmen, falls kein Protokoll in Kioto zustande kommt.

Schlechte Signale setzte die deutsche Industrie. Die Automobilindustrie erklärte, den Kohlendioxidausstoß im Autoverkehr bis 2005 nicht um 25 Prozent, sondern nur um sechs Prozent mindern zu können, so der Chef des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernd Gottschalk. Daß Gottschalk das ausgerechnet gestern verkündet, legt die Vermutung nahe, daß ihm ein Stau in Kioto am Herzen liegt. Matthias Urbach